Wurfbilder und Wahrscheinlichkeiten

- Torwart-Trainer Michael Bruun im Portrait

Die Aufgaben in einem Trainer-Team wachsen. Vor dieser Saison hat die SG Flensburg-Handewitt das Coaching für ihre Schlussleute intensiviert und den Fachmann Michael Bruun verpflichtet. Seit zehn Jahren ist er in diesem Metier tätig – zum ersten Mal ist der 51-Jährige nun außerhalb Dänemarks beschäftigt.

Beim Training der SG erfolgt oft eine Teilung der Duburghalle. Nicht baulich, sondern organisatorisch. Während die Feldspieler unter der Obhut von Maik Machulla und Mark Bult Angriff, Abwehr und Würfe verfeinern, verlieren sich auf der anderen Seite nur drei Personen: die beiden Keeper Benjamin Buric und Kevin Møller sowie ihr spezieller Coach Michael Bruun. 30 bis 45 Minuten lang arbeitet der Experte mit dem Duo. Zwei Tage vor einem Spiel etwas intensiver. Dann schnellen die Torhüter von der einen Seite des Tores zur anderen, um ihre Fuß- und Beinarbeit zu verbessern. Dann werden andere Schwerpunkte in der Technik gesetzt. Die Bälle greift sich Michael Bruun gerne aus einem Einkaufswagen und schleudert sie gen Gehäuse. Oder „Assistent“ Lasse Møller kommt an die Reihe.

Die Spielvorbereitung
Einen Tag vor einem Match wird es theoretischer. Dann dreht sich vieles um die speziellen Wurfbilder der gegnerischen Schützen. Michael Bruun fertigt einige Diagramme und Zeichnungen an, kann erzählen, von wo die Handballer der anderen Klubs abziehen und in welche Richtung und wohin sie werfen. Es gibt Wahrscheinlichkeiten, die den Torhütern helfen sollen und für die ihr Coach anderthalb Stunden lang Videos auswertet. „Die meisten Schlussleute können bis zu fünf Spieler abspeichern, einige sogar bis zu zehn“, erklärt Michael Bruun. Und da er nie bei den Auswärtsfahrten dabei ist, geht er mit Benjamin Buric und Kevin Møller auch telefonisch oder über andere Medien wenige Stunden vor dem Anpfiff noch einmal die Wurfbilder durch.

Der Gast aus Dänemark
Bei einem Training ist Michael Bruun so etwas wie der Gast aus Dänemark, denn er ist für acht Stunden die Woche vom dänischen Handballverband für die Vereinsarbeit freigestellt. Sonst kümmert er sich um die Keeper der Nationalmannschaften und betreut die aussichtsreichsten Torhüter-Talente des Königreichs. Ganz klar: Der 51-Jährige hat seinen Lebensmittelpunkt in Dänemark, wohnt mit seiner Lebensgefährtin und der jüngsten von drei Töchtern im jütländischen Städtchen Skive, unweit des Limfjords. Wenn die SG ruft, pendelt er – zwei Stunden und 15 Minuten für einen Weg. „Das ist kein Problem, man kann gut telefonieren“, schmunzelt er. „Nur wenn man schon um neun Uhr in Flensburg zum Training sein soll, muss ich doch ziemlich früh losfahren.“

Der Lebenslauf
In Skive wurde Michael Bruun Pedersen, so sein voller Name, auch geboren. Am 8. Oktober 1970. Als Kind kannte er zwei sportliche Passionen: draußen der Fußball, in der Halle der Handball. Während er bei den Kickern im Feld spielte, zog es ihn unter den Ballwerfern sofort in den Kasten. „Wir waren zunächst nur acht Jungs“, erinnert sich der langjährige Keeper. „Ich stellte mich ins Tor und blieb dort für immer.“ Sein Stammklub in Roslev, einem Ortsteil von Skive, war HRH 74. Eine kleine Talentschmiede, denn mit Henrik Toft Hansen und Søren Rasmussen wurden dort auch zwei ehemalige SG Akteure groß. Als die erste Einladung zur U17-Nationalmannschaft ins Haus flatterte, war es vorbei mit dem Fußball. Nun gehörte dem Handball die volle Aufmerksamkeit. Bei Ribe HK schaffte es Michael Bruun in die Männer und traf dort auch auf SG Legende Lars Christiansen. Das war in den frühen 90er Jahren. „Wir hatten viel Spaß zusammen“, lächelt der Torhüter-Coach.

Zwei Mal EM-Bronze
Insgesamt 17 Jahre war er erstklassig. Er hütete auch den Kasten von Bjerringbro und Mors-Thy, doch die meiste Zeit trug er das Torwart-Dress von Team Tvis Holstebro. Zuletzt steckte dieser Klub überraschender Weise tief im Abstiegsstrudel. „Das tut weh, wir sprechen ja von meinem Herzensverein“, verrät Michael Bruun, der insgesamt auf 83 Länderspiele zurückblickt. Er durfte nie zu einer Weltmeisterschaft, gehörte aber bei den Europameisterschaften 2002 und 2004 zu den dänischen Aufgeboten, die Bronze errangen. Das Turnier 2008, bei dem die Dänen ihren erst Gold-Traum realisierten, hatte er nur knapp verpasst. Im letzten Moment hatte sich Nationaltrainer Ulrik Wilbek für den Kontrahenten Peter Henriksen als zweiten Torwart entschieden. „Der stand insgesamt nur 29 Minuten im Kasten“, grinst Michael Bruun. „Ich möchte also behaupten, Dänemark wäre damals auch mit mir Europameister geworden.“ Mit 41 Jahren und neun Monaten, dieses Alter betont der Torwart-Trainer fast schon genüsslich, beendete er seine aktive Karriere. Nahtlos erfolgte der Übergang in die Funktion eines Coachs. Bei Team Tvis Holstebro lagen seine Schwerpunkte als Assistent natürlich bei den Torhütern und auch bei der Abwehr. Seit 2014 hat er sich auf die Keeper spezialisiert und nahm bald darauf ein Angebot des dänischen Handballverbandes an. Parallel unterstützte Michael Bruun stets einen Verein, zuletzt natürlich Team Tvis Holstebro.

Die Torhüter im Fokus
Bei der SG geriet im Sommer, während der Nachbereitung der abgelaufenen Saison, die Rolle der Schlussleute in den Fokus. „Wir haben inzwischen sehr hohe Anforderungen an die Torhüter-Position, eine individuelle Trainingssteuerung gewinnt zunehmend an Bedeutung“, erklärte Chefcoach Maik Machulla. „Gerade mit Blick auf die Vielzahl an Spielen ist uns auch eine intensive Vor- und Nachbereitung der Keeper per Video sehr wichtig.“ Kevin Møller schätzte die analytische Arbeit aus dem dänischen Nationalteam und brachte Michael Bruun ins Gespräch. Der alte Weggefährte Lars Christiansen fühlte vor, dann folgte ein ausgiebiges Gespräch mit Maik Machulla und Mark Bult. Der Umworbene war schnell Feuer und Flamme. „Man spricht in Dänemark viel von der Flensburger Professionalität, es ist eine gute Balance zwischen Spaß und konzentrierter Arbeit“, erzählt Michael Bruun. „Außerdem lockte mich die Bundesliga als die stärkste Liga der Welt. Wenn ich mich da bewähre, dann geht es überall.“ Als Aktiver war er nie außerhalb des dänischen Orbits. Vor 20 Jahren gab es mal Angebote aus Spanien oder Frankreich, und es klopfte ein Berater an, der den Torwart mit TUSEM Essen in Verbindung bringen wollte. Damals entschied er sich aus familiären Gründen gegen ein Engagement im Ausland.

Golf als Hobby
Heutzutage ist Michael Bruun ein gefragter Experte. Es bleibt wenig Zeit für Hobbys. Selbst das geliebte Golfspiel musste er im letzten Jahr etwas vernachlässigen. Sonst ist er häufiger auf den Plätzen Mitteljütlands oder dreht mit Lars Christiansen auf Alsen eine Runde. Stressabbau, Natur und der Talk mit Freunden reizen Michael Bruun am entspannten Sport. „Es ist doch ein guter Start in den Tag“, lächelt er, „wenn man am ersten Loch steht und die Sonne gerade aufgegangen ist.“