Mit heilem Diskus in die Rückrunde

- Lasse Møller arbeitet für sein Comeback

Ein paar Handballer der SG Flensburg-Handewitt tummeln sich im Kraftraum der Flensburg Akademie. Die meisten absolvieren ein paar Übungen, um im Rhythmus zu bleiben. Vor Lasse Møller liegt eine Hantel mit einem Zehn-Kilo-Gewicht. Er steckt in einer anderen Mission: Er möchte zurück auf das Spielfeld und arrangiert sich mit einem Fitness-Programm, dass für ihn nur Mittel zum Zweck sein kann. Mit entschlossenem Blick sagt der 24-Jährige Däne: „Ich bin hier für Handball.“

Er darf optimistisch sein. Mehrfach haben sich die Ärzte der dänischen  Nationalmannschaft und das Medical-Team der SG ausgetauscht. Einigkeit herrscht über die generelle Marschroute: im Januar wieder richtiges Training mit dem Ball, im Februar die Rückkehr auf das Spielfeld. „Dann bin ich hundertprozentig wieder fit“, ist sich Lasse Møller sicher. Er war die tragische Figur des ersten Bundesliga-Spieltags. Die SG setzte sich in Wetzlar durch, der Neuzugang glänzte mit neun Toren. Doch einmal war er unglücklich mit der Hand auf den Boden geknallt. „Ich glaube, in dieser Aktion habe ich sogar einen Siebenmeter bekommen“, sagt der Rückraumakteur. Er selbst hat die Szene gar nicht mehr vor Augen, da er dem überschaubaren Schmerz keine große Bedeutung beimaß – und einfach weiterspielte. Später der Schock: Der Diskus, eine wichtige Struktur im Handgelenk, war abgerissen.

Der lange Weg zurück
Mitte Oktober, als die Teamkollegen von Spiel zu Spiel eilten, wurde Lasse Møller in Hamburg an der Hand operiert, der gesamte linke Arm lag für sechs Wochen in Gips. Sein Bewegungsradius war stark eingeschränkt. Freundin Ida, die eigentlich in Odense studiert, half ihm eine komplette Woche im Alltag. Dann wurde die Gefriertruhe zum Partner bei den Mahlzeiten. Inzwischen kann er schon wieder selbst kochen. Auch einen geliebten Wok mit Gemüse, Hähnchen, Pasta oder Reis. Lasse Møller saß zunächst viel vor dem Computer oder an der Play-Station. „Wenn man viel mit dem Handball unterwegs ist, sind solche Spiele eine schöne Abwechslung“, erzählt er. „Aber wenn man keine andere Wahl hat, wird es doch bald langweilig.“ Er hatte mal wegen einer Knie-Blessur knapp zwei Monate pausieren müssen, aber die aktuelle Verletzung verlangt ihm eine ungekannte Geduld und Disziplin ab.

Das 1000-Seelen-Dorf Gudme
Mit seinen 24 Jahren kann der Däne schon auf eine stetige Laufbahn zurückblicken – in nur einem einzigen Verein. Er wuchs im Süden der Insel Fünen, im 1000-Seelen-Dorf Gudme, auf. Handball-Kenner wissen: Diese Gemeinde ist eine der drei Keimzellen des dänischen Top-Klubs GOG. In Gudme kommt man zwangsläufig zum Handball, wenn man sportbegeistert ist. „Meine Eltern spielten, ich wurde praktisch mit in die Halle genommen“, schmunzelt Lasse Møller. In der Jugend war er schon größer als die anderen, aber auch ziemlich dürr. Trotz der fehlenden Athletik avancierte er schnell zum besten Torschützen, wechselte auf das Sportinternat im Nachbarort Oure. Schon morgens um sechs Uhr stand eine Übungseinheit auf dem Programm. Am Abend rief der Verein. Den Ehrgeiz forcierte die Neugier. Der junge Handballer las gerne Sportbiografien, unter anderem die der Handball-Stars Joachim Boldsen und Mikkel Hansen. Zusammen mit seinem Vater verfolgte er die Handball-Übertragungen der deutschen Sportsender. „Da entstand der Traum von der Bundesliga”, verrät der heutige Profi.

Familien-Gefühl bei GOG und der SG
Noch immer schaltet Lasse Møller gerne Sportsendungen an. Er verfolgt den amerikanischen Basketball, am liebsten aber Handball. Champions League, Frauen-Europameisterschaft – und vor allem die dänische Liga. „Ich sitze zwar nicht im Trikot vor dem Bildschirm, bin aber natürlich Fan von GOG, meinem Heimatklub“, grinst er und freut sich, dass im Sommer sein Kumpel Emil Jakobsen zur SG kommen wird – als mittlerweile zehnter ehemaliger GOG-Akteur. Lasse Møller wundert diese „Schwemme“ nicht. „In beiden Vereinen“, erklärt er, „herrscht ein Familien-Gefühl, das den Neuzugängen von GOG dabei hilft, in Flensburg schnell ins Team zu finden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es passt, ist so sehr groß.“ Bei Lasse Møller war es so: Frühzeitig erschienen die Verantwortlichen der SG auf Fünen und beobachten den Zwei-Meter-Mann bei den GOG-Heimspielen. „Ein außergewöhnlicher Rückraumspieler mit ganz vielen Qualitäten und mit enormen Entwicklungspotenzial“, dachten sich die SG Späher. Der Wunschkandidat unterschrieb im Mai 2019 einen Drei-Jahres-Vertrag bis 2023. Gerade rechtzeitig, denn Lasse Møller war auch von anderen europäischen Top-Vereinen umworben worden. „Die SG hat eine lange Tradition großer dänischer Spieler“, wusste der junge Däne. „Ich habe große Lust, hier meine eigene Geschichte zu schreiben.“

Auftritt bei internationalem Großturnier vertagt
Mit einer Größe von zwei Metern brachte er beste Voraussetzungen für eine große Karriere mit. Der erste große Paukenschlag glückte ihm 2017 bei der U21-Weltmeisterschaft in Algerien. Im Endspiel fingen sich die dänischen Talente in der Verlängerung einen bitteren letzten Treffer der Spanier ein. Neben Silber wurde Lasse Møller mit der Auszeichnung als bester Akteur des Turniers dekoriert. Wenige Monate später durfte der Rookie für die A-Nationalmannschaft ran und bestritt das erste von bislang zehn Länderspielen. Bei der SG wollte er sich der „ersten Garde“ weiter annähern. „In Flensburg sind mehr Augen auf mich gerichtet“, weiß Lasse Møller. „Hoffentlich ist die SG mein Ticket zu einer wichtigen Position in der Nationalmannschaft.“ Die Handverletzung zerstörte die Hoffnungen auf die erste Weltmeisterschaft allerdings frühzeitig.

Flensburg, die neue Heimat
Seine neue Heimat gefällt ihm gut – sofern er sie bereits besichtigen konnte. Die Innenstadt von Flensburg erinnert ihn mit ihrer skandinavischen Prägung an das fünische Svendborg. „Sonst habe ich“, erzählt Lasse Møller, „bislang viele Wohnungen gesehen.“ Besuche bei Teamkameraden sind häufig. Wegen der aktuellen Corona-Lage blieb er in der Flensburger „Blase“. Außerdem sieht er sich weiterhin als Bestandteil der Mannschaft und möchte den Alltag mit den Jungs verbringen. Nach nur zwei Wochen saß er wieder in der Duburghalle auf einem Fahrrad. „Da hatte ich zumindest einen sehr guten Platz, um den Jungs beim Training zuzuschauen“, schmunzelt Lasse Møller. In den letzten Wochen war Athletiktrainer Michael Döring seine wichtigste Ansprechperson. Kraft-Training und Laufen gehören längst wieder zum Programm. Werfen mit rechts ist natürlich möglich, Fangen aber nur mit einer Hand. „Es ist alles noch nicht optimal, aber schon viel besser, als zu Hause zu sitzen und nichts zu machen“, verrät Lasse Møller. Er weiß: Es geht voran.