Medaillen statt Soft Ice

- Emil Jakobsen im SG Portrait

Geniale Linksaußen hatte die SG Flensburg-Handewitt schon einige in ihren Reihen. Etwa Lars Christiansen, Anders Eggert und aktuell Hampus Wanne. Die Zukunft könnte Emil Jakobsen gehören. Der Däne ist erst 23 Jahre alt, akklimatisierte sich seit Sommer südlich der Grenze und setzte im November und Dezember die ersten größeren Schlaglichter in der neuen Umgebung.

Bislang ist es ein ganz gewöhnlicher Tag. Emil Jakobsen war um acht Uhr aufgestanden, frühstückte, machte sich auf den Weg zur Duburghalle und trainierte. Doch zur Mittagszeit ist er plötzlich ein gefragter Mann. Für einen Podcast soll der Handballer ein dänisches Weihnachtslied singen, ein dänischer Journalist hat sich für ein Portrait-Termin angemeldet, das Social-Media-Team der SG heftet sich an seine Fersen, und auch unser Gespräch geht über die Bühne. Kapitän Lasse Svan tritt kurz an den Tisch, stellt zwei Flaschen Rotwein ab und sagt mit einem Lächeln: „Du kannst mit ihm auf Deutsch sprechen.“ Bislang erfüllte Emil Jakobsen die Interview-Anfragen hauptsächlich auf Dänisch oder Englisch. Deutsch hatte er in der Schule etwas gelernt, sich in den letzten Monaten soweit mit den vielen neuen Wörtern vertraut gemacht, dass er das meiste im Trainings- und Spielbetrieb versteht. „Manchmal helfen mir Lasse Svan und Mads Mensah auf Dänisch“, verrät der Neuzugang. „Und es kommt auch vor, dass Jim Gottfridsson auf Schwedisch an mich herantritt.“ Immer dienstags marschiert Emil Jakobsen durch die Fußgängerzone und absolviert bei „Berlitz“ einen Einzelunterricht. 90 Minuten lang wird viel auf Deutsch gesprochen. Die Fortschritte der letzten fünf Monate sind deutlich zu hören.

Die Anfänge im Handball
Aufgewachsen ist der 23-Jährige in Kerteminde, einem 8000-Seelen-Ort im Nordosten der dänischen Insel Fünen. Während sich Kulturinteressierte am Großen Belt gerne eine Granitplastik oder ein Wikingerschiff anschauten und Gewerbetreibende den großen Fischereihafen ansteuerten, entdeckte Emil Jakobsen die richtigen Lokale für das beste Soft Ice für sich – und den Sport. Zunächst probierte er es mit Fußball. Aber schon als junger Teenager war klar, dass er Handballer werden wollte. Vielleicht hatte er nicht gedacht, dass er ein sehr guter Spieler werden würde, aber zumindest ein guter. Denn dieser Weg war vorgezeichnet angesichts eines handballaffinen Elternhauses. Die Mutter agierte als Linkshänderin im rechten Rückraum, der Vater als Spielmacher. Ihr Sohn indes war schon bald auf dem linken Flügel gesetzt. „Ich war relativ klein“, erzählt er. „Erst später machte ich einen Schuss in die Höhe.“ Wer weiß, vielleicht wäre aus ihm auch ein gutes Rückraumass geworden, wenn das Wachstum früher eingesetzt hätte.

Ein auffälliger Linksaußen
In jedem Fall fiel Emil Jakobsen frühzeitig auf. 2017 war er zweitbester dänischer Schütze bei der U19-Weltmeisterschaft im fernen Georgien. Mit dem Team gewann er Bronze. Bereits mit 18 Jahren hatte er einen festen Platz im Profi-Kader von GOG, dem führenden Klub auf Fünen, dem sich der aufstrebende Handballer schon in der Jugend angeschlossen hatte. „Ich hätte auch in Odense spielen können“, erzählt er. „Aber in Gudme boten sich die besseren Möglichkeiten, und es war auch nur eine halbe Stunde zu fahren.“ Emil Jakobsen ist die große dänische Entdeckung der letzten Jahre auf der linken Außenbahn. 2018 wurde GOG Dritter, 2019 sogar dänischer Vizemeister – und der Flügel-Spezialist wurde zwei Mal in Folge zum „Talent des Jahres“ gekürt und sammelte internationale Meriten mit GOG in der EHF European League. In diesem Wettbewerb stieß er zuletzt bis ins Viertelfinale vor. Noch besser lief es im Nationalteam. Im April 2019 debütierte Emil Jakobsen für Dänemark und ließ sich auch von der Corona-Pandemie nicht ausbremsen. Im letzten Januar feierte er die Weltmeisterschaft, erzielte gegen Japan stolze zwölf Tore. Im August durfte er sich die olympische Silbermedaille um den Hals hängen. Der Rechtshänder war während der Vorrunde in den 14er Kader aufgerückt, bestritt dann drei Spiele und warf sieben Tore, ehe der junge Spieler mit dem Viertelfinale in die Rolle des Reservisten zurückkehrte.

Das Interesse der SG
Definitiv hatte Emil Jakobsen schon einen Status, als die SG um den Linksaußen buhlte. Er fühlte sich wohl in der dänischen Liga, der er ein gutes Niveau bescheinigt. Bequem, dass es von Fünen aus keine Auswärtstour gibt, die länger als drei Stunden dauert. Dennoch war die Neugier geweckt, als der Bundesligist anklopfte. Er tauschte sich auch mit einigen dänischen Spielern bei der SG aus. Die sagten ihm: „Mache es, hier machst du weitere Schritte nach vorne!“ Er ließ sich nicht zwei Mal bitten, zumal er zu den Akteuren zählt, die über zu wenig Selbstvertrauen klagen. Angesprochen auf seine Landsleute Lars Christiansen und Anders Eggert meinte Emil Jakobsen nur: „Ich hoffe, dass ich auf Dauer eine ähnliche Rolle bekommen kann.“ Dabei betrat er im Sommer Neuland. Er hatte zwar schon mal Flensburg und den Hafen besucht, aber noch nie die Atmosphäre der FLENS-ARENA erlebt. „Ich hatte natürlich schon viel von der Stimmung gehört, und auch am Fernseher hatte ich etwas davon mitbekommen“, sagte er voller Vorfreude.

Erste Erfahrungen in der „Hölle Nord"
Inzwischen hat der 23-Jährige auch schon selbst einige Jubel-Orkane ausgelöst. Im November und Dezember hatte er deutlich mehr Spielanteile als zuvor erhalten, weil er zeitweise der einzige Linksaußen im Kader war. „Ich habe etwas warten müssen, aber die letzten Wochen waren eine schöne Erfahrung“, erzählte Emil Jakobsen Mitte Dezember. Nur einen Tag später bremste ihn eine Waden-Blessur etwas aus. Privat hat es sich Emil Jakobsen in der Flensburger Fußgängerzone eingerichtet. „Ich hatte auch in Odense schon eine eigene Wohnung“, berichtet er. An freien Tagen fährt er dennoch gerne zu seinen Eltern, die weiterhin auf Fünen leben. Während der Bus-Touren zu den Auswärtsspielen schaut er gerne Filme, zu Hause übt er sich an der Play-Station. Manchmal gibt es auch einen Sonder-Termin mit einigen Teamkameraden. Dann geht es zur Entspannung mit Aaron Mensing oder Lasse Svan auf den Golfplatz nach Glücksburg. Oder er hat sich mit Simon Hald, Aaron Mensing und Anton Lindskog in einer Sonderburger Halle zum Padle-Tennis angemeldet. Ein Sport ohne Ball scheint für Emil Jakobsen weder Fisch noch Fleisch zu sein. So ergänzt er das Training gerne um eine kleine Extra-Einheit, um an seinem Wurf-Repertoire zu feilen. Dazu stellt er sich auch in die Ecke der Duburghalle und versucht mit Akribie, den Ball aus einem absoluten Nullwinkel ins Tor zu drehen. Das gelingt erstaunlich oft – und die Grundlage für weitere Gala-Auftritte ist geschaffen.