„Ich kriege immer noch Gänsehaut“

- Das Interview der Woche: Johannes Golla

An diesem Vormittag ist die Duburghalle etwas länger besetzt. Die Bundesliga-Handballer der SG Flensburg-Handewitt trainieren drei Tage vor dem nächsten Spiel besonders emsig. Als die Handbälle zur Seite gelegt werden, trifft sich die Redaktion mit Johannes Golla, um mit dem Kapitän über Trainingseifer, die jüngste Europameisterschaft und die Ziele seiner SG zu sprechen.

Johannes, wie lange dauert üblicher Weise ein Training?
Johannes Golla: Das ist schon sehr unterschiedlich. Heute war es sehr lang und dauerte zwei Stunden und ein bisschen. Wir hatten ja kein Training unmittelbar vor einem Spieltag. Deshalb kamen auch ein paar Krafteinheiten dazu. Brutto ist so eine Übungseinheit übrigens noch länger. Bereits um 9 Uhr bin ich in der Duburghalle und bereite alles in Ruhe vor, ehe es um 10 Uhr losgeht. Danach gibt es noch ein paar Gespräche, sodass ich häufig erst gegen 13.30 Uhr wieder zu Hause bin.

Was am Training gefällt dir am besten?
Johannes Golla: Ich trainiere sehr gerne. Es gibt nichts, was mir nicht gefällt. Am meisten Spaß bringt mir das kurze Fußballspiel zum Aufwärmen. Jung gegen Alt – das hat immer einen kleinen Wettkampf-Charakter.

Trainierst du wirklich jeden Tag?
Johannes Golla: Auch wenn wir mal nicht in der Halle oder zum Kraft-Training sind, halte ich mich mit ein paar Übungen fit und trainiere für mich selbst. Es gibt nur ein paar Tage im Urlaub, an denen man abschaltet und nichts macht.

Lass uns etwas über die Europameisterschaft sprechen. Wie fällt deine sportliche Bilanz mit etwas Abstand aus?
Johannes Golla: Wenn man nur auf das Ergebnis schaut, können wir zufrieden sein. Die drei Mannschaften, die vor uns stehen, waren auch besser. Wenn man aber genauer hinterfragt, wie die Platzierung zu Stande gekommen ist, fallen zwei weitere Spiele auf, die wir nicht gewinnen konnten: gegen Österreich und gegen Kroatien. Vor dem letzten Hauptrunden-Spiel gegen Kroatien waren wir bereits für das Halbfinale qualifiziert. Da merkte man schon in der Kabine, dass bei allen die nötige Anspannung abgefallen war. Wenn man in seinem Heimatland im Halbfinale steht, dann träumt man natürlich von mehr. Gegen Dänemark waren wir in der ersten Halbzeit stark, es reichte aber nicht für 60 Minuten. Gegen Schweden war es anders herum, und wir waren in der ersten Hälfte nicht stark genug.
 

Es wird allgemein von der Rekord-Europameisterschaft gesprochen. Über eine Million Zuschauer waren in den Hallen. Wie hast du die Spiele in Düsseldorf, Berlin und Köln wahrgenommen?
Johannes Golla: Düsseldorf war ein einzigartiges Erlebnis. Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Es ist noch einmal etwas anderes, vor 53.000 und nicht vor 20.000 Zuschauern zu spielen. Aber auch in Berlin und Köln wurden wir von der Begeisterung getragen.

Wie viel kriegt ihr vom großen Interesse der Öffentlichkeit während eines Turniers mit?
Johannes Golla: Wir sind es gewohnt, dass im Januar das Interesse größer ist als sonst und viele Reporter dabei sind. Jetzt war es aber noch einmal eine Stufe mehr. Es verfolgten mehr Leute das Turnier, und es wurde noch mehr berichtet. Wir konnten aber stets den Fokus auf das Sportliche halten – auch weil zu den Pressekonferenzen zwischen den Tagen immer nur ein paar ausgewählte Spieler gehen mussten.

Es waren einige junge Spieler zum ersten Mal bei einem Turnier dabei. Gab es deshalb für dich als Kapitän mehr zu tun?
Johannes Golla: Ja und nein. Die Kommunikation war natürlich wichtig. Da aber die jungen Spieler auch Vereinskameraden hatten, war niemand dabei, der nur auf neue Spieler traf. Außerdem kannten die jungen von den Junioren-Turnieren den Rhythmus mit Spielen an allen zwei Tagen. Es war für sie nun nur alles etwas größer.

Nach dem Turnier ist vor dem Turnier: Mitte März geht es um das Olympia-Ticket? Wie schätzt du die Chancen für die Qualifikationsrunde in Hannover ein? Gegner sind Kroatien, Österreich und Algerien.
Johannes Golla: Es ist schön, dass wir erneut in Deutschland spielen dürfen. Wir müssen aber voll auf der Höhe sein, denn wir treffen auf starke Mannschaften. Wenn wir nicht unsere beste Leistung bringen, dann wird es schwer gegen Österreich und Kroatien. Es wäre natürlich toll, nach Tokio nun in Paris die zweiten Olympischen Spiele zu erleben – vor allem zum ersten Mal mit Zuschauern. Aber bis dahin passiert noch so viel, dass ich mich damit noch gar nicht beschäftigen kann.

Wie viel Kontakt hat man eigentlich während einer Europameisterschaft mit den Vereinskameraden in den anderen Nationalteams?
Johannes Golla: Wenn man sich während des Turniers trifft, dann spricht man miteinander. Man schreibt sich auch. Aber der Kontakt ist sehr unterschiedlich, von Spieler zu Spieler verschieden. 

Und wie war es Anfang Februar, als ihr binnen weniger Tage wieder als Einheit antreten musstet?
Johannes Golla: In diesem Jahr war es besonders extrem, da wir gleich ein Auswärtsspiel hatten, in dem es um ein Saisonziel ging: Wir wollten nach Köln. Die zwei gemeinsamen Trainingseinheiten nutzten wir sehr gut zur Vorbereitung und zu Gesprächen, was das Spiel in Hamburg ja auch zeigte. Auch wenn einige Spieler zunächst über einen zweiten Platz bei der EM enttäuscht waren, konnten sie auf ihre Medaille stolz sein und mit gutem Selbstvertrauen in die Rückrunde gehen.

Welche Perspektiven siehst du für den Rest der Saison?
Johannes Golla: In Köln sind wir dabei, und in der EHF European League wollen wir nach Hamburg – dann haben wir beide Final-Four-Turniere erreicht, was wir als Saisonziel angegeben haben. Wir wollten um alle Titel mitspielen. Mit der Meisterschaft wird es wohl schwer. Aber wir werden alles dafür tun, um noch einen Platz in der EHF Champions League zu erhalten. Mein Traum ist es, noch einmal mit der SG gegen die Besten der Welt zu spielen – am liebsten schon in der kommenden Saison.

Der Spielplan ist ja dieses Mal etwas günstiger. Im letzten Jahr musstet ihr nur zwei Tage nach dem REWE Final 4 ein entscheidendes Spiel in der EHF European League bestreiten. Schüttelst du angesichts dieser Konstellation manchmal immer noch mit dem Kopf?
Johannes Golla: Ich schüttele immer noch den Kopf über unsere Leistung. Ein Viertelfinale gegen BM Granollers hätte einfach nicht so enden dürfen, da sollten wir uns nicht hinter dem Spielplan verstecken. Auch dieses Mal gibt es übrigens eine komische Ansetzung. Wir spielen Anfang April in der LIQUI MOLY HBL bei der MT Melsungen und wenige Tage später nochmals im Halbfinale von Köln.

Im Sommer kam mit Nicolej Krickau ein neuer Trainer und mit Ljubomir Vranjes ein Sportlicher Leiter. Wie haben sich dadurch deine Aufgaben als SG Kapitän verändert?
Johannes Golla: Im Prinzip nicht. Es hat etwas Zeit gebraucht, alle Neuen etwas besser kennenzulernen. Nicolej Krickau ist ein guter Typ, und wir setzen seine Ideen immer besser um.

Immer mal wieder trainiert ihr zusammen mit dem Kooperationspartner SonderjyskE. Wie ist es, wenn eine Übungseinheit plötzlich mit vielen neuen Gesichtern bereichert wird?
Johannes Golla: Natürlich ist es etwas anders, wenn wesentlich mehr Spieler dabei sind und sich zunächst auch zwei Mannschaften getrennt aufwärmen. Es hat vor allem mehr Wettkampf-Charakter, wenn beide Mannschaften gegeneinander spielen, als wenn wir nur intern unsere Spielzüge einstudieren.