Hafen und Heimatgefühle

- Ein Absschiedsportrait mit Gøran Søgard

Gøran Søgard gehört zu den erfolgreichsten Handballern der letzten Jahre. Er gewann zwei Mal WM-Silber, ein Mal EM-Bronze – und natürlich 2019 die deutsche Meisterschaft mit der SG Flensburg-Handewitt. Nach sieben Jahren im Ausland und rund 200 Spielen für die SG wird der 29-Jährige zurück in sein Heimatland Norwegen kehren und bei Kolstad IL seine Karriere fortsetzen.

Die Sonne schien Ende April kräftig über der Flensburger Innenförde und überstrahlte so manche Enttäuschung auf dem Spielfeld. Gøran Søgard fand sogar mal etwas Zeit, um von seiner innenstadtnahen Wohnung zu starten. Dann spaziert er um die Hafenspitze herum und setzt sich auf eine Holztreppe, seinen Flensburger Lieblingsplatz. Auf der anderen Seite des Meeresarms bietet sich ein herrlicher Blick auf die Altstadt Flensburgs, verziert mit einer Reihe von Segelschiffen. Hier kann der Handballer sehr gut abschalten. Er entspannt bei Musik, lässt die Seele baumeln oder grillt mit anderen. Zufällig befindet sich der Lieblingsplatz direkt vor einem Restaurant. Man muss wissen: Gøran Søgard hat eine ausgeprägte Affinität für das Essen – seit der Jugend. „Schon als Junge musste ich mich oft selbst um das Essen kümmern, da meine Mutter als Flugbegleiterin viel unterwegs war“, erzählt er. „Und als ich 15 Jahre alt war, ging mein bester Freund auf eine Kochschule.“ Das reizte Gøran Søgard auch, also lernte er die Kochkunst von der Pike auf. Eine berufliche Perspektive entdeckte er dabei nicht. „Das war für mich ein Hobby, aber keine Arbeit“, betont der 29-Jährige. Das Fachwissen lässt er aber immer noch in seinen Alltag einfließen. „Ich wohne allein und muss als Sportler aufpassen, was ich esse“, erklärt der gelernte Koch. „Es gibt Dinge, die isst man gerne, und dann gibt es Dinge, die sind gut für einen. Gemüse und Salat würde ich sonst nicht so viel essen.“ Oft ergibt sich auch ein Kompromiss. Risotto etwa oder ein gutes Steak – und dazu ein Salat.

Heimatgefühle im Norden
An der Ernährung wird sich in naher Zukunft gewiss nichts ändern, dafür aber an der sportlichen Ausrichtung. Gøran Søgard kehrt zurück nach Norwegen, spielt ab Sommer für Kolstad IL in Trondheim. Eine Rückkehr nach Hause ist es aber eher nicht. „Meine Familie fährt zukünftig zwei Stunden mehr als jetzt, um ein Spiel von mir zu sehen“, schmunzelt er. Hintergrund: Norwegen ist mit seinen Fjorden und Bergen so zerklüftet, dass eine Tour oft einer Geduldsprobe gleichkommt und im norwegischen Binnenverkehr häufig auf das Flugzeug gesetzt wird. Heimatgefühle schwingen dennoch mit, wenn Gøran Søgard von Trondheim spricht. Leute, Sprache, und Landschaft werden sich nach sieben Jahren in Dänemark und Flensburg wieder sehr dem persönlichen Umfeld von Stavanger ähneln. Dort begann er im zarten Alter von sechs Jahren mit Handball, und zwar beim kleinen Klub Forus og Gausel IL. 

Die Laufbahn
Seine erste Trainerin war seine Mutter und entscheidend für die ersten Schritte einer zunächst zarten Karriere. „Ich wollte eigentlich nur Fußball spielen“, erzählt Gøran Søgard. „Aber meine Mutter war eine leidenschaftliche Handballerin und wollte unbedingt, dass ich auch ihren Sport ausprobiere – heute muss ich mich bei ihr bedanken.“ Er macht das, indem er bei der SG mit dem Schriftzug „Søgard“, dem Familiennamen seiner Mutter, aufläuft. Im Nationalteam trägt er den Familiennamen seines Vaters: Johannessen. Recht schnell landete Gøran Søgard bei Viking, der Nummer eins unter den Vereinen Stavangers. Mit 21 Jahren fasste er den Entschluss, im Ausland eine Profi-Laufbahn einzuschlagen. Der Zufall wollte es, dass in seinem fünften Länderspiel Norwegen auf Dänemark traf. Etliche dänische Vereinsmanager saßen auf der Tribüne. Gøran Søgard wechselte 2016 zu GOG. Dort erfüllte er schnell die Erwartungen, und die SG zeigte großes Interesse.

Die Zeit bei der SG
Die Saison 2018/19 begann sehr unglücklich. Aufgrund einiger Verletzungen und eines Autounfalls verpasste der Neuzugang viele Spiele. Doch am Ende stand eine deutsche Meisterschaft, gekrönt von einer Bilanz mit nur vier Minuspunkten. „In Düsseldorf hatten wir praktisch ein Heimspiel der SG“, erinnert sich Gøran Søgard. „Und als wir das Deutsche Haus in Flensburg erreichten, war es voller Flensburger Fans. Und auch am nächsten Tag am Südermarkt waren so viele Leute da.“ Mit leuchtenden Augen ergänzt er: „Handball bringt Spaß, aber vor allem dann, wenn man auch Erfolg hat.“ Am eigenen Leib spürte der Handballer die große Bedeutung, die eine Meisterschaft in Deutschland hat. Sie ist nie ein Selbstgänger und kennt oft haarscharfe Entscheidungen. So wie im Juni 2021, als sich die SG mit dem THW Kiel ein Fernduell lieferte und letztendlich hauchdünn das Nachsehen hatte. „Die Rhein-Neckar Löwen hätten gegen Kiel das entscheidende Tor machen können, andererseits hätten wir aber auch keinen Punkt gegen Lemgo verlieren müssen“, erzählt Gøran Søgard und betont: „In der LIQUI MOLY HBL ist jedes Spiel schwer und von Bedeutung.“

Die Fan-Kultur in Deutschland
Der Norweger wird zukünftig viele Dinge vermissen, dazu gehören auch die Hallen in Deutschland. „Hier herrscht die beste Stimmung in der Welt“, erklärt er. „Überall spielen wir vor vollen Rängen, die Fans investieren viel für ihre Mannschaft.“ Mit Wohlwollen beobachtet Gøran Søgard, dass Kolstad IL inzwischen 3000, bei Top-Spielen sogar 8000 Zuschauern begrüßen kann. Aber die Mentalität ist eine andere. „In Norwegen kommen die Zuschauer, klatschen und fiebern auch mit, damit hat es sich aber auch“, findet der 29-Jährige. „In Deutschland macht die Fan-Kultur die Siege schöner, auf der anderen Seite die Niederlagen aber auch härter.“ Es sind persönliche Gründe, die Gøran Søgard zu einem Wechsel bewegten. „Ich spüre, dass mein Körper mehr Pausen benötigt“, sagt er. Er glaubt, dass die Kombination von weniger intensiven Spielen und einer geringeren Zahl an Reisen eine „Investition in die Zukunft“ sein könnte. Er verspricht sich davon eine längere Karriere.

Sportlicher Ausblick und Studium
Bei Kolstad IL hat sich das Rückraumass vorerst für zwei Jahre vertraglich gebunden – mit Optionen auf einen Zuschlag. Das Projekt ist reizvoll. „Wir wollen nicht nur in die europäische Spitze, sondern den norwegischen Handball insgesamt voranbringen“, betont Gøran Søgard und erläutert die Strukturen des bescheidenden norwegischen Profi-Handballs: „Wer im Moment gut ist, muss für eine Profi-Laufbahn nach Dänemark, Deutschland, Frankreich oder Schweden wechseln. Wir wollen erreichen, dass gute Spieler länger Handball in Norwegen spielen können und die Liga eine größere Breite bekommt.“ Kurzum: Kolstad IL soll als Zugpferd für weitere Klubs und Sponsoren dienen. In Norwegen möchte der SG Akteur auch sein Lehramtsstudium in Norwegisch und Sport zum Abschluss bringen. Es fehlen noch ein Schein und die Masterarbeit. Derzeit hat der Handballer ein Freisemester eingelegt. „Das letzte halbe Jahr in Flensburg wollte ich mich voll auf Handball fokussieren“, verrät Gøran Søgard. „Vielleicht spiele ich nie wieder in dieser Liga und für die SG.“ Ein Wiedersehen soll es aber in jedem Fall geben – vielleicht sogar in der EHF Champions League mit Kolstad IL.