Erste Schritte in der Bundesliga

- SG Historie: So war es in der Saison 1992/93

Eine große Leistungsdichte im Handball-Oberhaus, viele unglückliche Niederlagen, einige Verletzungssorgen und ein ärgerlicher Abstieg, der sich durch den Rückzug eines Kontrahenten doch noch in einen Klassenerhalt verwandelte – das alles prägte die Saison 1992/93 aus Sicht der SG Flensburg-Handewitt. Vor 30 Jahren war aber noch vieles anders als heute – nicht nur weil die SG damals der einzige Aufsteiger war.

Walter Schubert fährt immer noch gerne nach Schleswig-Holstein. Es war im Februar 2020, dass er letztmals die FLENS-ARENA besuchte und ein Spiel der SG verfolgte. „Handball findet heutzutage nicht nur in größeren Hallen statt, er ist im Vergleich zu damals auch viel athletischer und professioneller geworden”, beobachtete er bei seiner Stippvisite im Norden. Damals – das war zwischen 1991 und 1993, als Walter Schubert für die SG auflief und mit ihr in die Bundesliga aufstieg. Als Spielmacher hatte er eine sehr gute Technik und legte auch mal einen Kempa-Trick für Linksaußen Holger Schneider auf. Doch die Dynamik und das Tempo waren mit heute nicht zu vergleichen. Das kann auch der damalige Teamkollege Rainer Cordes bestätigen. „Von der schnellen Mitte war noch gar nicht die Rede“, erzählt er. „Nach einem Angriff konnte man in aller Ruhe zur Bank laufen und mit dem Abwehrspieler wechseln.” Es waren andere Zeiten. Damals genügte ein Etat von umgerechnet 800.000 Euro, um im Handball-Oberhaus mitzuspielen. Mit einer solchen Summe müssen heutzutage Top-Vereine der 3. Liga planen, die Bundesliga ist längst eine Millionen-Angelegenheit. Die SG hatte damals keine Geschäftsstelle. Stattdessen pflegten Vereinsvorstand und Spieler den Kontakt beim Training oder bei Gesprächen in den Sportheimen der Stammvereine.

Es herrschte ein Halbprofitum
Wenn es darum ging, neue Spieler zu verpflichten, wurde in der Regel die berufliche Option gezogen. Denn von einem Beruf „Handballer“ konnte kaum die Rede sein, es herrschte ein Halbprofitum. „Nach sieben Jahren in Düsseldorf wollte ich noch einmal etwas anderes erleben – und da zeigte mir die SG gute Möglichkeiten auf”, erinnert sich Walter Schubert. Er arbeitete halbtags bei einem Technologie-Unternehmen in Flensburg. Rainer Cordes baute sein Grafik-Unternehmen auf, das noch immer das Vereinsheft KONTER produziert. Das damalige Pensum schildert Peter Leidreiter, der zwischen 1992 und 1998 dem SG Kader angehörte: „Ich arbeitete 20 bis 30 Stunden bei einem Sponsor als Projektleiter und Programmierer. Dazu trainierte ich jeden Abend und teilweise an zwei Vormittagen. Für Auswärtsspiele nahm ich Urlaub, wobei ich für ein Trainingslager oder die Spiele unter der Woche Sondertage bekam.“ Ähnlich verlief die Woche bei vielen Teamkameraden.

Der einzige Profi war Zimmermann
Eine Ausnahme bildete der „Ausländer“. Die Bundesligisten durften damals nur einen Handballer unter Vertrag nehmen, der nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Bei der SG war das der dänische Linkshänder Jan Eiberg „Faxe“ Jörgensen, der sich voll auf den Sport konzentrierte. Als gelernter Zimmermann packte er aber gerne mit an. „Ich erinnere mich an einen Umzug, bei dem Faxe einen Holzschrank allein in einer halben Stunde aufgebaut hatte, wozu wir mindestens einen halben Tag gebraucht hätten“, erzählt Dierk Schmäschke. Er selbst befand sich vor drei Dekaden im Spätabend seiner Karriere und kümmerte sich immer mehr um organisatorische Dinge und wuchs allmählich in die Aufgabe des SG Geschäftsführers hinein.

Zwei Hallen im Wechsel
Damals spielte die SG noch nicht in der FLENS-ARENA, die erst 2001 eingeweiht werden sollte. Die Bundesliga-Premiere ging am 19. September 1992 in der Handewitter Wikinghalle über die Bühne. 2000 Zuschauer feierten einen 21:17-Sieg über Hameln. Die Heimspielstätten wechselten damals. Die eine Hälfte der Spiele und das Training fanden in Handewitt statt. Daneben trat immer mehr die noch neue, 3500 Fans Platz bietende Flensburger Fördehalle. Bei den Spielern bildeten sich Prioritäten heraus. „Gerade in Handewitt herrschte eine besondere Stimmung, es war alles sehr persönlich”, schwärmt Walter Schubert noch immer. Peter Leidreiter hält dagegen: „Ich spielte lieber in der Fördehalle vor mehr Zuschauern. Außerdem war die Luft nicht ganz so schlimm wie in der engen Wikinghalle.“ 

Ein Trainerwechsel
Zum Sportlichen: In der Serie 1992/93 war die SG der einzige Neuling, wurde aber wegen zahlreicher bekannter Akteure hochgehandelt, zumal sie als Vize-Pokalsieger „amtierte“. Trainer „Noka“ Serdarusic drückte auf die Euphoriebremse: „Es wird ganz schwer für uns, in der eingleisigen Liga ist nur das Beste übrig geblieben.“ Nach einem soliden Start rutschten die Nordlichter ab. Zahlreiche Spiele gingen mit nur einem Tor verloren, die Verletzungen häuften sich. Am schwersten war die so wichtige Torhüter-Position betroffen. Als die Bundesliga aufgrund der Weltmeisterschaft in Schweden eine mehrwöchige Pause einlegte, fehlten dem Aufsteiger bereits vier Zähler zum rettenden Ufer. Es entbrannten Diskussionen um den Coach. „Noka war ein echt guter Trainer“, erzählt Dierk Schmäschke. „Wir hatten den Kader nach seinen Wünschen verstärkt. Dann gerieten wir aber sportlich ins Hintertreffen, und er teilte im Radio mit, dass er nach Saisonende zum THW Kiel wechseln würde.” Vize-Präsident Frerich Eilts und Dierk Schmäschke führten mit „Noka“ Serdarusic ein längeres Gespräch. Am Ende stand die Beurlaubung. „Wir haben ihm die Gründe erklärt“, so Dierk Schmäschke. „Er war enttäuscht, da er überzeugt war, noch den Klassenerhalt zu schaffen“. Der Abschied hatte sich schon in den Monaten zuvor angedeutet. „Noka“ Serdarusic hatte seine Probleme mit Vorstand und Journalisten. „Er war der beste Trainer, den ich je hatte“, blickt Rainer Cordes zurück. „Aber Mannschaft und Trainer müssen auch zusammenpassen. Noka hatte eine extrem autoritäre Art, die manch einen fast zu lähmen schien. Als dann der sportliche Erfolg ausblieb, traten die Risse deutlicher in Erscheinung.” Die spürte auch Peter Leidreiter. „Noka hatte mich damals von Bad Schwartau nach Flensburg geholt“, erinnert er sich. „Leider passte die Zusammenarbeit zwischen uns nicht so, wie aus den Gesprächen erhofft.“

Die Wende kam in der Sommerpause
Der Nachfolger hieß Anders Dahl-Nielsen, eine dänische Handball-Legende, die an vier Olympischen Spielen teilgenommen hatte. „Eine dänische Fröhlichkeit und Lockerheit, ohne dass es zu Lasten der Professionalität ging”, skizziert Rainer Cordes. Peter Leidreiter meint gar: „Die dänische Art passte sehr gut zu uns. Im Nachhinein muss man sagen: Sie kam zu spät.“ Die SG konnte den Rückstand nicht mehr aufholen und lag auch nach dem letzten Spieltag auf einem Abstiegsplatz. Mit einer Ausbeute von 29:39 Punkten und einem positiven (!) Torverhältnis. Einige Wochen später sickerte durch, dass beim TSV Milbertshofen der Hauptsponsor ausgestiegen war. Ein Rückzug stand im Raum. Der DHB signalisierte, dass im Fall der Fälle die SG als bester regulärer Absteiger in der Bundesliga bleiben würde. Eines Abends entspannte Rainer Cordes in seinem Weicher Reihenhaus auf dem Sofa. Dierk Schmäschke rief die Spieler an. „Milbertshofen hat zurückgezogen, wir bleiben in der Bundesliga.“ Damit nicht genug: Kurz darauf stand fest, dass Spitzen-Torwart Jan Holpert von München nach Flensburg wechseln würde. Der Aufschwung der SG zur nationalen und internationalen Spitzenmannschaft begann.