Ein „Lucky Loser“

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 3

Am 19. September 1992 war der große Tag gekommen: 2000 Zuschauer in der Handewitter Wikinghalle freuten sich auf den ersten Bundesliga-Auftritt der SG Flensburg-Handewitt. Eine große Erwartungshaltung begleitete die Vorfreude des Anhangs. Trainer „Noka“ Serdarusic drückte auf die Euphoriebremse: „Es wird ganz schwer für uns. In der eingleisigen Liga ist nur das Beste übrig geblieben.“ Die SG traf als einziger Aufsteiger auf 17 Etablierte.

Am Kader wurden einige Stellschrauben nachgezogen. Knut-Arne Iversen war nach Norwegen zurückgekehrt. Bei der Neubesetzung des rechten Rückraums entschied sich die SG für Jan Eiberg Jörgensen. Der 22-jährige Däne fasste im rauen Klima der Bundesliga immer besser Tritt und übernahm bald die Spitze in der internen Torschützenliste. Gleich zwei Mal wilderte der Aufsteiger im Bestand des VfL Bad Schwartau: Holger Schneider war nun die Nummer eins auf Linksaußen. Peter Leidreiter bereicherte die Spielerdecke in Rückraum und Abwehr. Die Bundesliga-Premiere gewann die SG übrigens mit 21:17 gegen die SG Hameln.

Eine „launische Diva“
Dennoch ordnete sich der Neuling rasch im unteren Tabellenbereich ein. Etliche Verletzte erschwerten den Start. Beim TSV Milbertshofen drohte das nächste Debakel, als es 4:10 zur Pause stand. „Noka“ Serdarusic sah sich zu einer Standpauke gezwungen. „Wer spielen will, geht jetzt mit mir raus und kämpft. Wer das nicht will, geht duschen.“ Duschen ging keiner; das Spiel kippte. 16:16 hieß es nach 60 Minuten. Die SG erhielt noch einen direkten Freiwurf. Rainer Cordes nahm sich den Ball und warf ihn an der Abwehrmauer vorbei ins Tor. Spieler und Betreuer fielen sich in die Arme. Das „Wunder von München“, der erste Auswärtssieg der Saison, war vollbracht. Ein Vordringen in die höheren Gefilde der Bundesliga verbaute sich die SG aber selbst, indem sie zur „launische Diva“ mutierte. Während in Eitra ein blamables 18:26 die Laune verdarb, glänzte dieselbe Formation nur vier Tage später mit einem sensationellen 27:12-Schützenfest gegen Rostock.

Großes Verletzungspech
Die Sorgen nahmen zu: Neben Peter Leidreiter (Bänderriss) und Abwehrchef Andreas Mau (Kahnbeinbruch) fiel auch Stammkeeper Thomas Buchloh (Kreuzbandteilriss) längerfristig aus. Die Besetzung der Torhüter-Position entpuppte sich als leidiges Thema, da mit Klaus Rehn nur noch ein etatmäßiger Schlussmann zur Verfügung stand und ständig andere Vertreter im Spielbericht auftauchten. „Noka“ Serdarusic tobte: „Heute ist Brinkmann eingesprungen, nächste Woche wird Petersen oder Heinz oder weiß ich nicht wer spielen.“ Auch im Feld verursachte die Misere so manche Überraschung. Zunächst wurde Thomas Blasczyk zur Stabilisierung der Abwehr aus dem Hut gezaubert. Kurz darauf sprang Holger Hinrichsen nach fast dreijähriger Handball-Abstinenz ein. Am Ende der Saison waren insgesamt 23 Akteure, darunter sieben Torhüter, zum Einsatz gekommen.

Ein Trainer-Wechsel
Die SG rutschte immer tiefer in den Abstiegsschlamassel. Als die Bundesliga aufgrund der Weltmeisterschaft in Schweden eine mehrwöchige Pause einlegte, fehlten dem Aufsteiger bereits vier Zähler zum rettenden Ufer. Die Diskussion um die Rolle der „Zweiten“, die zur Spitzengruppe in der Zweiten Liga Nord zählte und eine Rückstufung in die Regionalliga befürchten musste, entbrannte aufs Neue. Schließlich kam es zu einem fast kompletten Wechsel der „Zweiten“ zum Regionalligisten HSG Tarp-Wanderup. Kurz darauf der nächste Hammer: „Noka“ Serdarusic unterschrieb für die nächste Saison beim THW Kiel. Die SG erfuhr von der Vertragsunterzeichnung aus dem Radio. Der Funktionärsstab fühlte sich auf den Schlips getreten. Am 16. Februar 1993 endete die Zusammenarbeit.

Aufholjagd mit einem dänischen Coach
Anders Dahl-Nielsen hieß der neue Hoffnungsträger, der nach langjährigen Kontakten zur SG endlich den Weg an die Flensburger Förde gefunden hatte. Der Lehrer versprach einen anderen Stil, weniger Autorität und eine flachere Hierarchie. „Die Mannschaft ist in Form, sie muss bloß wieder sicherer werden und Spaß am Spiel haben“, meinte Anders Dahl-Nielsen. Vor heimischer Kulisse gab der Neuling keinen Punkt mehr ab, doch auch die Konkurrenz ließ nicht nach. Am vorletzten Spieltag musste die SG unbedingt in Großwallstadt gewinnen, um sich nicht vorentscheidend abschütteln zu lassen. Kurz vor Schluss ging Großwallstadt mit 21:20 in Führung. Die allerletzte Chance: Michael Menzel traf nur den Pfosten! Es war das verflixte siebte Mal, dass die SG mit nur einem Tor verlor. Trotz eines positiven Torverhältnisses waren Rang 16 und der Abstieg beschlossene Sache.

Die unverhoffte Rettung
Der sportliche Misserfolg forderte den Vorstand heraus. Vize-Präsident Frerich Eilts teilte mit: „Wir planen den direkten Wiederaufstieg.“ Dann eine überraschende Wendung: Mitte Juni 1993 wurde bekannt, dass beim TSV Milbertshofen der Hauptsponsor ausgestiegen war. Ein Rückzug stand im Raum. Der DHB signalisierte, dass im Fall der Fälle die SG als bester regulärer Absteiger in der Bundesliga bleiben würde. In Flensburg und Umgebung begann erneut das Zittern um den Klassenerhalt. Am 2. Juli 1993 hatte das Warten ein Ende: Die Münchener gaben ihren endgültigen Abschied bekannt. Aus dem unglücklichen Absteiger war ein „Lucky Loser“ geworden.

Folge 4 am Freitag: Ein Top-Torwart ist die halbe Miete