„Ein klarer Plan“

- Das Interview der Woche: Lars Christiansen

Zu den ganz großen Namen, die man mit der SG Flensburg-Handewitt verbindet, gehört gewiss Lars Christiansen. Der 50-Jährige spielte von 1996 bis 2010 für die SG, warf so viel Tore wie kein anderer und kehrte 2020 als Mitarbeiter im Trainer-Team zurück. Die Redaktion sprach mit dem Dänen über seine Handball-Leidenschaft, seine Aufgaben und auch über einen sportlichen Erfolg, der sich nun zum 20. Mal jährt.

Lars, was sagt dir der 13. April 2003?
Lars Christiansen: Das war doch in Hamburg, als wir den DHB-Pokal gewannen. Ich rannte damals allein auf Essens Keeper Chrischa Hannawald zu. In dieser Situation dachte ich nur: Du musst das Tor machen. Deshalb entschied ich mich auch dazu, möglichst dicht heranzukommen.

Welche Bedeutung hatte der Erfolg damals?
Lars Christiansen: Das war ja der erste nationale Titel. Es war ein Highlight, den Pokal damals nach Flensburg zu holen und mit unseren Fans zu feiern. Das war beeindrucken und brachte uns in einen Lauf. Wir wussten nun, dass wir es schaffen können. Deshalb gewannen wir den DHB-Pokal auch drei Mal in Folge. Der erste Titel ist immer der schwierigste. Hat man den einen, kommen auch die anderen – vorausgesetzt man arbeitet dafür weiter. Es war für die SG wichtig zu zeigen, dass sie auch in Deutschland etwas gewinnen kann.

Was ist 20 Jahre später für die SG möglich?
Lars Christiansen: Das Halbfinale gegen die Rhein-Neckar Löwen wird sehr schwer. Verdientermaßen sind wir in Köln dabei, nun ist das REWE Final4 eine gute Gelegenheit, einen Titel zu erringen. Mit der richtigen Einstellung und wenn alle Spieler dabei sind, haben wir auch eine Chance. Aber wenn wir das nicht zu 100 Prozent erfüllen, wird es schwer, zumal die anderen Teams ähnliche Voraussetzungen haben.

Was hältst du vom neuen Austragungsort Köln? Wirst du vor Ort sein?
Lars Christiansen: Ich war auch nach meiner Karriere als Privatperson mit meiner Familie mehrmals in Hamburg, da das REWE Final4 etwas ganz Besonderes ist. Aber Köln hat natürlich auch eine hervorragende Halle, was ich beim Final Four der EHF Champions League selbst mehrfach erlebte. Wenn die Arena voll wird, dann haben wir wieder eine besondere Atmosphäre, die die Mannschaften besonders motivieren wird. Ich werde natürlich auch vor Ort sein, werde bei unserer Mannschaft sein und freue mich schon tierisch.

Wenn man dir zuhört, schwingt immer noch die alte Handball-Besessenheit mit. Oder täuscht der Eindruck?
Lars Christiansen: Handball ist mein Leben. Deshalb spielte ich auch, bis ich 40 wurde. Und danach wollte ich nicht aufhören. Ich mache aber auch ein paar andere Dinge. So bin ich Botschafter für zwei Unternehmen. Außerdem halte ich rund 60 Vorträge im Jahr. Ich spreche dann vor 20 bis 900 Leuten über Erfolgsfaktoren, Ziele oder Motivation. Diesen Bereich habe ich allerdings etwas zurückgeschraubt, da meine Aufgaben bei der SG mehr Zeit beanspruchen. Bei mir ist kein Tag identisch mit einem anderen – und das genieße ich.

Du nennst dich Koordinator Lizenzspieler-Abteilung. Wie sieht dein Aufgabenprofil aus?
Lars Christiansen: Das ist durchaus vielschichtig. Ich stehe mit Holger Glandorf, Maik Machulla und Mark Bult im stetigen Austausch darüber, welche Spieler wir bei der SG haben wollen. Es geht darum, sich Spieler anzuschauen und später mit ihnen zu sprechen. Wir haben einen klaren Plan, wie die Mannschaft aussehen soll – auf und außerhalb des Spielfeldes. Wir haben immer ein paar Spieler auf der Liste und überlegen uns, wer zu uns passen würde. Dann geht es darum, diese Spieler auch zu bekommen. Das geschieht im Team, aber meine Kenntnisse setze ich für die Gespräche mit den Beratern oder auch den Handballern ein. Außerdem bin ich im Trainer-Team der Siebenmeter-Spezialist und übernehme weitere Aufgaben. Diese sollen uns noch besser machen. Man darf nie zufrieden sein, es geht immer noch mehr. Manchmal versuche ich, die Trainer ein wenig herauszufordern und spreche etwas an, wenn ich etwas anders bewerte als sie. Wir haben ein großes Vertrauen ineinander, gehen ehrlich und direkt miteinander um. Denn wir haben alle dasselbe Ziel: Das Beste für die SG.

Wie sieht denn die Arbeit eines Siebenmeter-Trainers aus?
Lars Christiansen: Daran arbeiten wir nur, wenn es Sinn macht. Mit Emil Jakobsen hatte ich schon in Dänemark zusammengearbeitet, bevor er zur SG wechselte. Er bringt alle Fähigkeiten mit, die ein verdammt guter Siebenmeterschütze braucht. Neben den Wurfvariationen entscheidet der Kopf. Es ist eine ganz andere Situation, beim 4:4 einen Siebenmeter zu werfen oder bei einem Unentschieden 25 Sekunden vor Schluss. Man muss dann auch mal darüber nachdenken, was ein Torwart denkt. Er rechnet in einer Schlussphase wahrscheinlich mit einem harten Wurf. Aber warum soll man nicht etwas Freches wie einen Leger über den Kopf machen? Ich versuche auch, Maik Machulla dazu zu bewegen, sich bei Siebenmetern nicht wegzudrehen. Denn damit signalisiert er kein Vertrauen in unsere Schützen.

Bist du oft in Flensburg? Hast du einen Schreibtisch in der SG Geschäftsstelle?
Lars Christiansen: Ich bin mindestens ein bis zwei Mal beim Training, um präsent zu sein und um ein paar Dinge oder die gesamte Situation zu besprechen. Zusätzlich bin ich auch mal in der Geschäftsstelle, wenn dort etwas von mir benötigt wird oder eine Sitzung stattfindet. Mein Büro ist aber das Auto, da ich viel unterwegs bin und deshalb dort viel telefoniere. 

Du wohnst mit deiner Familie in Juelsminde. Was gefällt dir an deiner Wahlheimat?
Lars Christiansen: Im Winter ist es schön ruhig. Es leben nur 5000 Leute in diesem Städtchen. Im Sommer sind es aber bestimmt doppelt so viele Menschen. Es gibt Meer, Wald und gleich zwei Sporthallen. Deshalb ist die Sportinfrastruktur hier so hervorragend, und die SG war die letzten drei Jahre während der Vorbereitung in Juelsminde zum Trainingslager.

Was sind deine Aufgaben bei einem Heimspiel?
Lars Christiansen: Ich bin anwesend für die Spieler, aber auch für Maik Machulla und Mark Bult. Außerdem gehe ich in die Logen oder spreche mit Fans und Sponsoren, erzähle ihnen vieles über die SG, damit sie sich bei uns wohlfühlen und immer wieder nach Flensburg kommen möchten. Wir haben ja stets viele Dänen zu Besuch.

Wie verfolgst du die Auswärtsspiele? Oder reist du mit?
Lars Christiansen: Da bin ich nur dabei, wenn es Sinn macht. Ich soll manchmal etwas genauer beobachten oder auf bestimmte Situationen achten. Ich gehöre bei den Auswärtsspielen aber nicht zum festen Stamm.

Wie schätzt du die aktuelle Lage ein. Gibt es heute mehr gute Handballer als zu deiner Zeit?
Lars Christiansen: Man muss jede Zeit für sich sehen. Es gab in den 80er Jahren, in den 90er Jahren oder auch Anfang des Jahrtausends immer gute Handballer auf allen Positionen. Die Voraussetzungen haben sich verändert, und man kann es schwer vergleichen. Aber auch wenn man den besten Handballer der Welt sucht, wird es schwierig. Ist es ein Torwart, ein Rückraumspieler, der gerade 15 Tore geworfen hat, oder ist es ein kompletter Spieler, der vorne wie hinten Weltklasse ist? Man kann es nicht auf den Punkt bringen.

Wie siehst du die Entwicklung der Spielphilosophie?
Lars Christiansen: Unser Sport ist definitiv schneller geworden, und es fallen noch mehr Tore. Die Spieler sind professioneller als früher und trainieren sehr optimiert. Es gibt wesentlich mehr Spezialisten in den verschiedenen Übungsbereichen. Die Spieler wissen nun, was sie essen sollen und was von ihnen erwartet wird. Die schnelle Mitte hat einen noch größeren Einfluss bekommen. Kurzum: Handball ist ganz anders als vor zehn oder 15 Jahren.