Wenn die SG etwas zu vermelden hat, dann nimmt von den neuesten Nachrichten nicht nur in der Region Notiz. Der deutsche Meister strahlt auch über die Grenzen der Republik hinaus. So war es auch, als der Klub Ende September die längerfristige Verletzung von Hampus Wanne bekanntgeben musste und einen neuen Linksaußen suchte. Da klingelte ein Handy in der Schweiz. Spielerberater Tim Grothaus rief einen seiner Klienten an: Marvin Lier, der beste Torschütze von Pfadi Winterthur. „Soll ich dich platzieren, auch wenn es nur für drei Monaten auf Leihbasis ist?“ Der Handballer war überrascht, stimmte aber zu: „Das wäre ein Traum, probieren können wir es.“ Der Rest ist bekannt: Marvin Lier landete bei der SG.
Turnen oder Handball?
Ein Erlebnis, das ihm verwehrt geblieben wäre, wenn er sich als kleiner Bube anders entschieden hätte. In Ehrendingen, einem Dorf im Kanton Aargau, unweit der Grenze zu Deutschland und dem Schwarzwald, hatten Kinder die Wahl zwischen zwei Sportarten: Turnen oder Handball. „Ich wollte einen Mannschaftssport betreiben“, erinnert sich der 27-Jährige. „Und das Ballgefühl war schon relativ ausgeprägt.“ Bald wurde er in die Regionalauswahl berufen, kam später ins Blickfeld der Jugendnationalmannschaft. Zunächst als Kreisläufer, dann sprach seine Statur für den Flügel. Da spielte Marvin Lier bereits für den nur zehn Minuten vom Heimatort entfernten TV Endingen, einer Fahrstuhl-Mannschaft zwischen Swiss League und Zweitklassigkeit. „Es gab eine personelle Notlage“, erzählt er. „Da durfte ich einen Tag vor meinem 16. Geburtstag bereits mein erstes Erstliga-Match gegen die Kadetten Schaffhausen bestreiten.“
Der Weg ins Nationalteam
2012 wechselte er zu Pfadi Winterthur, bestritt einige Monate später sein erstes von 58 Länderspielen. So richtig in Fahrt kam die Karriere aber erst nach den Rücktritten zweier routinierter Linksaußen vor gut einem Jahr. Marvin Lier avancierte in der letzten Serie zum Topscorer der Alpenrepublik und stieg auch in der Nationalmannschaft zur ersten Wahl auf. Erstmals seit 2006 nimmt die Schweiz im kommenden Jahr an einer Europameisterschaft teil. Vor 14 Jahren fungierten die Eidgenossen als Gastgeber. Marvin Lier saß damals als Talent auf der Tribüne, registrierte das Vorrunden-Aus seiner Landsleute und begeisterte sich an den Fähigkeiten der Kroaten. Nun wird es in Göteborg unter anderem gegen Schweden gehen. „Wir haben eine junge, hungrige Truppe“, erzählt der 27-Jährige. „Das Medien-Interesse stieg nach einer längeren Abstiegsspirale zuletzt deutlich.“