Die Handball-Könige aus Schleswig-Holstein

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 16

Die SG Flensburg-Handewitt bastelte an einigen Nahtstellen. Mit Ljubomir Vranjes wurde neben Joachim Boldsen ein neuer Spielmacher installiert, Frank von Behren vergrößerte die Breite im Rückraum, Torge Johannsen wurde aus Dormagen zurückgeholt, und Anders Eggert sollte als Nachfolger von Linksaußen-Ikone Lars Christiansen aufgebaut werden. Die Zielsetzung blieb unverändert: möglichst Titel.

Schon die Vorbereitung erwies sich als turbulent. Zunächst kündigte Geschäftsführer Thorsten Storm an, nach der Spielzeit eine neue Herausforderung zu suchen, dann musste Kent-Harry Andersson am Innenohr operiert werden und fiel einige Monate aus. Als Interimslösung fand sich der ehemalige isländische Nationalcoach Viggo Sigurdsson. Sein Motto: „Alles gewinnen, bis Kent-Harry wieder da ist.“ Nach ersten Siegen waren die Nordlichter allerdings vor Rückschlägen nicht gefeit. Noch agierte die SG in Bestbesetzung, kurz darauf wurde der Kader kräftig durchgeschüttelt. Frank von Behren erlitt einen Kreuzbandriss. Blazenko Lackovic brach sich die Nase. Trotzdem tanzte die SG munter auf allen drei Hochzeiten. In der Champions League gelang der Gruppensieg vor Chekhovski Medvedi, HC Zagreb und Metalurg Skopje.

Tolle Wende gegen Celje
Im Achtelfinale drohte gegen den RK Celje das „Aus“. Ohne Ljubomir Vranjes (Lungenentzündung) stand die SG gegen eine 5:1-Abwehr auf verlorenem Posten. Nach 60 Minuten leuchtete ein erschütterndes 31:41 auf der Anzeigetafel. „Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass da noch was geht“, sagte der verletzte Kapitän Sören Stryger. Die Aussicht auf ein „Wunder“ lockte das Publikum hinter dem Ofen hervor. Und es geriet nicht wegen des blauen Königsklassen-Teppichs, den die EHF erstmals in der „Hölle Nord“ verlegen ließ, in Verzückung. Joachim Boldsen und Marcin Lijewski in der ersten Hälfte, Blazenko Lackovic im zweiten Durchgang – diesmal waren es die SG Rückraumasse, die ein Preisschießen veranstalteten. Und im Gehäuse war Jan Holpert der Fels in der Brandung. So gelang mit dem 36:26 eine Punktlandung. Viggo Sigurdsson tanzte nach dem Schlusspfiff wie ein junges Reh auf dem Parkett. „Das ist der größte Erfolg in meiner Karriere“, strahlte er.

Im Rausch gegen Barcelona
Die Interimszeit von Viggo Sigurdsson steuerte ihrem Ende entgegen. Einen Tag vor Heiligabend kreuzte er als Bundesliga-Spitzenreiter in Kiel auf. Mit einer von nur vier Niederlagen verabschiedete sich der Isländer. Kent-Harry Andersson kehrte mit Beginn der Rückrunde zurück. Mit dem Viertelfinale der Champions League stand der nächste unumstrittene Höhepunkt bevor. Der FC Barcelona kündigte sich an. Die „Hölle Nord“ bejubelte einen unglaublichen 31:21-Triumph. „Das ist heute ein besonderes Erlebnis für einen Trainer“, schwärmte Kent-Harry Andersson. „Man sieht nur selten seine Taktik hundertprozentig aufgehen.“ Aus Gummersbach hatte die SG eine Niederlage im Gepäck, hatte im „Palau Blaugrana“ aber nur zwei Mal Sorgenfalten auf der Stirn. Fünf Minuten vor der Pause und zehn Minuten nach Wiederbeginn drohte Unheil. Der Rest war dank eines umsichtigen Ljubomir Vranjes Formsache, die 29:34-Niederlage reichte.

Die Hüfte von Valladolid
Für eine richtige Sause war das Programm zu dicht gestrickt. Nur eine Woche später musste die SG beim TBV Lemgo antreten, der in das Tennisstadion von Halle auswich. In einem Sonderzug schwangen viele der 630 mitfahrenden Fans schon am Morgen das Tanzbein. „Wir können nach Hause fahren!“, sangen sie auf der Rücktour. Ihre Lieblinge hatten verloren. Im Halbfinale der europäischen Königsklasse wurde es eng. Die Nordlichter nahmen nur ein knappes 32:30 mit nach Valladolid, das zum Schauplatz eines Krimis wurde. 46 Sekunden vor Ultimo hieß es 25:24 für den spanischen Vertreter, der den Ball eroberte. Ljubomir Vranjes attackierte aus taktischen Gründen sofort, schied mit einer roten Karte aus und wurde später von der EHF für ein Spiel gesperrt. Valladolid erhielt einen letzten Siebenmeter, den Dan Beutler mit der Hüfte parierte. Am Abend sangen seine Mitspieler: „Wir wollen die Hüfte sehen, wir wollen die Hüfte sehen!“

Pokal-Krimi in Hamburg
Der Kampf um die europäische Krone war zu einer schleswig-holsteinischen Angelegenheit geworden, denn auch der THW Kiel hatte sich durchgesetzt. Zum Aufbau der Dramaturgie streute der Spielplan ein „Vorspiel“ ein. Die beiden Landesrivalen trafen im Halbfinale des DHB-Pokals in Hamburg aufeinander. „Wir sind wieder da!“, leuchtete eigens auf den für dieses Event kreierten T-Shirts. Ein Leitspruch, der für die Mannschaft zunächst nicht galt. Die SG erwischte eine katastrophale erste Hälfte, lag mit sieben Treffern zurück. Nach der Pause lief es wesentlich besser. Ein Wembley-Treffer der Kieler war unter anderem dafür verantwortlich, dass die SG mit 33:34 den Kürzeren zog.

Zwei Landesderbys auf höchster Ebene
Am 22. April 2007 stieg das erste Champions-League-Finale in der Campushalle. Die Hektik nahm stetig zu und erfuhr in der 48. Minute ihre Eruption. Es hieß 21:23, als Christian Zeitz durchstartete, völlig frei vor dem SG Kasten auftauchte und mit voller Wucht abzog. Der Ball traf Jan Holpert voll im Gesicht. Der Schlussmann sackte zusammen, rappelte sich wutentbrannt wieder auf, um dem „Übeltäter“ nachzustellen. Die Mitspieler konnten den aufgebrachten Jan Holpert nur mit Mühe zurückhalten. Ein Tumult bildete sich. Der Endstand: 28:28. Jan Holpert erholte sich vom „schlimmsten Kopftreffer der Karriere“ und war nach zwei Tagen schmerzfrei. Am 29. April 2007 fuhr eine zehngliedrige Bus-Karawane an der Flensburger Exe los. „Wenn nicht bei euch, wo dann“, leuchtete auf den roten T-Shirts, die alle Fans trugen. Bereits in der ersten Hälfte erregte eine rote Karte gegen Joachim Boldsen die Gemüter. Sören Stryger fiel mit einer Verletzung aus. Die SG wirkte nach dem Ausfall von zwei „Leitwölfen“ konsterniert. Immer wenn es so aussah, die SG würde sich berappeln, folgte ein nächster Fehlversuch. Am Ende war es ein Katz-und-Maus-Spiel – bis Kim Andersson bei 59:56 Minuten vor Dan Beutler völlig frei auftauchte und den „Matchball“ zum 29:27 verwandelte. Knapp zwei Jahre später standen Manipulationsvorwürfe gegen THW-Manager Uwe Schwenker und THW-Coach Noka Serdarusic im Raum. Zahlreiche Partien, hieß es, seien verschoben worden, darunter auch das Königsklassen-Finale von 2007.. Im September 2011 begann am Kieler Landgericht ein Prozess, an dessen Ende die Angeklagten freigesprochen wurden.

Platz drei zum Abschied der Torwart-Legende
Im Frühjahr 2007 saß der Stachel der Enttäuschung tief. Die Fans unterließen beim nächsten Heimspiel gegen Minden jegliche Unterstützung. Alle mussten sich wieder in den Bundesliga-Alltag zurückkämpfen. Das „peinliche“ 32:34 bei einem stark ersatzgeschwächten Wilhelmshavener HV löste einen Erklärungsnotstand aus. Die aus finanziellen Gründen dringend erforderliche Königsklassen-Qualifikation war in Gefahr geraten. Gegen den SC Magdeburg zeigte sich, dass die vielen teaminternen Gespräche fruchteten. Mit einem 35:28 lag die SG wieder auf Kurs. Für den vorletzten Bundesliga-Spieltag sah der Spielplan das vierte Landesderby binnen sechs Wochen gegen Kiel vor. In den letzten 20 Minuten setzte die SG die entscheidenden Nadelstiche und bejubelte einen 41:36-Erfolg, der den dritten Rang in der Bundesliga absicherte. Die letzte Aufregung einer langen Saison verschwand hinter dem Glanz einer langen Laufbahn. Am 3. Juni 2007 trat Jan Holpert von der sportlichen Bühne ab.

Folge 17 am Montag: Ein bitterer Mai