Der Steuermann der Optimierung

- Die Arbeit von Athletiktrainer Michael Döring

16 Profis hat die SG Flensburg-Handewitt im Kader. Betreut wird es von einem gut aufgestellten Funktions-Team. Dazu gehört Michael Döring. Der Athletik-Trainer bewegt sich im Hintergrund, aber liefert stets wertvolle Inputs, um die Belastung der Spieler zu steuern, ihre Fitness zu fördern und das Verletzungsrisiko zu reduzieren.

Das Training ist zu Ende. Michael Döring hat in seinem Rucksack eine spannende Fracht – zumindest für Sportwissenschaftler und Handball-Trainer. Es handelt sich um 16 Sensoren, die jeder Spieler während der Übungseinheit getragen hat – am Trikot zwischen den Schulterblättern. Die Technik hat Wege, Intensität und Stoppbewegungen aufgezeichnet. Der Athletik-Trainer begibt sich gleich von der Duburghalle zur Akademie, um die Zahlenreihen auszuwerten und sie mit weiteren Daten zu vergleichen. Bereits vor dem Training hatten die Handballer auf einem Tablet Fragen zu ihrem Wohlbefinden beantwortet. Nun geht es um Rückschlüsse über die Fitness der Spieler, dass niemand in den roten Bereich schießt, keinem unnötigen Verletzungsrisiko ausgesetzt wird und die Sportler zum richtigen Zeitpunkt ihr Leistungsmaximum erreichen. Während der Spiele in der LIQUI MOLY HBL wird der Datenschatz noch reicher. Liga-Partner und SG Partner „Kinexon“ misst nicht nur Einsatzzeiten, bewältigte Distanzen und Körper-Intensität, sondern zeichnet auch den Standort des Balls und der Spieler auf – im Rhythmus von nur 50 Millisekunden. Mit den Ergebnissen sollen irgendwann die Effizienz von Spielzügen und die Wahrscheinlichkeit von Torerfolgen berechnet werden. Die Taktik könnte dann anders aussehen.

Erfahrungen im weiblichen und männlichen Handball
Michael Döring ist im Sommer 2017 ins Funktions-Team der SG aufgerückt. Chefcoach Maik Machulla hatte sich entschieden, mehr Wert auf sportwissenschaftliche Erkenntnisse und Regeneration zu legen. Kurios: Vom Sehen kennen sich die beiden seit ihrer Kindheit. In Halle-Neustadt standen sie sich in unterschiedlichen Vereinstrikots als Gegner auf dem Handballfeld gegenüber und besuchten dieselbe Schule – allerdings in Parallelklassen. Das war kein fruchtbarer Boden für eine Freundschaft. Als sich sein Klub, die SG Dynamo Halle-Neustadt, 1990 auflöste, widmete sich Michael Döring anderen Sportarten wie Basketball und Volleyball. Später, während seines Leipziger Studiums der Sportwissenschaft, entdeckte er den Handball wieder für sich und ließ sich zu einer Trainer-Karriere inspirieren. Die ersten Meriten verdiente er sich im weiblichen Handball. Seine Frau, die ehemalige Weltklasse-Spielerin Grit Jurack, spielte acht Jahre lang für Viborg HK. Michael Döring selbst wurde Leiter des Viborger Handball-Colleges. Zu seinen Schützlingen gehörte auch die Tochter von Lewe T. Volquardsen, dem langjährigen Motor in der hiesigen Handball-Jugendförderung. Dieser plante, eine Akademie aufzubauen und holte Michael Döring 2013 nach Flensburg. Der Neuankömmling brachte die Institution in mehreren Positionen voran, betreute zudem zwei Jahre lang das Athletik-Training der Fußballer vom TSB Flensburg.

Der Einstieg bei den Profis
Es war 2016, als der damalige SG Spieler Rasmus Lauge sich schwerer verletzte und lange ausfiel. „Ljubomir Vranjes fragte mich damals, ob ich das Reha-Programm leiten könnte“, erinnert sich Michael Döring. Es war der erste Fuß in der Tür zur Bundesliga. Bald darauf tauchte er immer häufiger bei den SG Profis auf. Inzwischen konzentriert sich der 45-Jährige komplett auf den Athletik-Bereich. Für die Akademie ist er nur noch beratend tätig, eine zweijährige Doktorandenstelle an der Universität Paderborn ist ausgelaufen. Die Doktorarbeit, die in den nächsten Jahren entstehen soll, wird sich der Belastungssteuerung am Beispiel des Bundesliga-Handballs widmen.

Die Aufgaben des Athletiktrainers
Im SG Tross hat Michael Döring beim Kraft-Training und bei Fragen der Regeneration den Hut auf. Das klingt nach stets gleichen Abläufen, doch aus den Details heraus schreitet die Entwicklung weiter. „Jede Saison hat man mit neuen Spielern zu tun“, erzählt der Experte. „Und dieses Mal war die Vorbereitung ganz anders. Wir hatten keine Olympischen Spiele, unsere Handballer konnten im Sommer sechs Wochen regenerieren.“ Er blickt stets auf die neuen Erkenntnisse der Sportwissenschaft und Erfahrungen aus anderen Sportarten. „Was helfen kann, werfe ich ein“, sagt Michael Döring. „Und wenn es Maik für sinnvoll hält, dann nimmt er es.“ Es geht stets auch um einen Vorsprung vor der Konkurrenz. So stellen sich die Spieler nun zwei Tage vor einem Spiel auf eine Kraftmessplatte, um Gewicht und Sprungkraft überprüfen zu lassen. Ein größerer Gewichtsverlust könnte eine Erkrankung andeuten, nachlassende Sprunghöhen sprechen für eine generelle Müdigkeit. Bei den Auswärtsfahrten stimmen Essenswart Lasse Møller und Joelina Schiewer von der Geschäftsstelle mit einem Caterer vor Ort die Mahlzeiten ab, die gleich nach Spielschluss in der Kabine serviert werden. Sportmedizinische Untersuchungen in Damp zeigten auch auf, wer eher Magnesium und wer eher Kalzium zur Nahrungsergänzung zu sich nehmen sollte. Zudem wurde die Betreuung mit Physiotherapeuten aufgestockt und der Draht zu den Ärzten intensiviert, um die vorhandenen Kompetenzen noch besser zu bündeln.

Die Auswirkungen
An vielen Stellschrauben wurde gedreht, in große Euphorie verfällt Michael Döring dennoch nicht. „Wir haben die Leistungen und das Risiko stets im Blick, wir können aber nicht verhindern, dass sich irgendwann jemand verletzt“, erklärt der Athletik-Trainer. „Der Handball ist nun einmal ein sehr verletzungsanfälliger Sport.“ Nach einer Auswertung der Berufsgenossenschaft VBG erleiden Spieler der beiden höchsten Spielklassen in Deutschland derzeit durchschnittlich 2,8 Blessuren pro Saison und stehen verletzungsbedingt rund einen Monat im Jahr nicht zur Verfügung. Während Michael Döring nur bei Auswärtstouren mitfährt, die über Reise und Spiel hinausgehen, ist er bei Heimspielen stets in der Halle – allerdings nur im Hintergrund. „Für das Warmup ist alles besprochen, die Spieler wissen, was zu tun ist“, sagt der Fachmann. „Ich muss nicht vorweglaufen – wie es manchmal im Fußball zu sehen ist.“ Die Spiele beobachtet er durch die Brille eines Athletik-Trainers und tauscht sich hinterher mit den anderen Mitgliedern im Funktions-Team aus, wer am nächsten Tag in welcher Form im Kraft-Training gefordert wird.

Die eigene Entspannung
Jemand, der sich mit großer Akribie mit Sportwissenschaft und Athletik beschäftigt, braucht mal eine Auszeit. Michael Döring wohnt mit seiner Familie in Glücksburg. Mit seinen beiden Jungen im Alter von acht und zwölf Jahren spielt er Volleyball, Handball und Fußball oder bastelt auch mal einen Flitzebogen. Er liest gerne und hält sich natürlich auch selbst fit. „Und wenn man mal nichts macht, ist das auch schön“, lächelt Michael Döring. Jetzt geht es erst einmal runter zur Akademie: In seinem Rucksack befinden sich viele Daten.