Wie sieht die Partnerschaft zwischen der Uni Paderborn und der SG Flensburg-Handewitt genau aus?
Jochen Baumeister: Die Kooperation besteht im Messen und Auswerten von Leistungsdaten, die täglich im Leistungssport entstehen und erhoben werden. Wir erhoffen uns, dadurch mehr Informationen über die Spieler zu bekommen, um den Prozess der Individualisierung weiter voranzutreiben. Die Universität Paderborn unterstützt das Trainerteam der SG Flensburg-Handewitt dahingehend, eine andere, datenbasierte Perspektive auf die Trainingssteuerung aufzuzeigen.
Was passiert genau mit den erhobenen Daten?
Jochen Baumeister: Wir analysieren in erster Linie objektive Daten zur Leistung, Belastung und Beanspruchung der Spieler, z.B. aus trainingsbegleitenden Sprung-, Sprint- und Koordinationstests. Aufgrund der Ergebnisse ist es möglich, das Training noch individueller zu gestalten und somit jedem Spieler gerecht zu werden. Gerade in Bezug auf diese Leistungsdaten lassen sich Umfänge und Intensität besser ausgestalten und steuern.
Wie wird das im Alltag umgesetzt, wie genau muss man sich den Umgang der Daten genau vorstellen?
Jochen Baumeister: Die Zeiten, in denen alle Spieler einer Mannschaft dieselben Belastungsvorgaben bekommen, sind lange vorbei. Nach einer intensiven Datenauswertung werden spezifische Anforderungsprofile für die Spieler erstellt. Nur so können wir gewährleisten, dass wir im Training jedem Spieler gerecht werden und somit seine optimale Leistungsfähigkeit entwickeln können.
Dient diese optimierte Trainingssteuerung auch der Verletzungsprävention?
Jochen Baumeister: Wir gehen bei dieser individualisierten Trainingssteuerung davon aus, dass wir Überlastungen und Fehlbelastungen besser vermeiden können. Allerdings ist das schwer zu belegen, da sich Kontaktverletzungen, und um Körperkontakt geht es im Handball nun mal, natürlich nicht vermeiden lassen.
Wie habt Ihr mit Eurer Arbeit die Vorbereitung auf die neue Saison der SG unterstützen können?
Jochen Baumeister: Wir unterstützen aus wissenschaftlicher Sicht. Dabei arbeiten wir eng mit dem Trainerteam zusammen. Wir beobachten Zusammenhänge, messen Leistungsdaten und werten diese im Anschluss aus. In enger Absprache können Maik Machulla und Athletiktrainer Michael Döring diese Informationen für eine optimale Steuerung der Einheiten und der Rehabilitation nutzen.
Die neue Technologie KINEXON wird in der kommenden Saison in der HBL eine große Rolle spielen, auch die SG wird mit dem neuen System arbeiten. Was ist KINEXON eigentlich?
Jochen Baumeister: Die HBL stattet die Spielstätten mit einem lokalen System aus, dass die genaue Position eines Spielers in der Halle erkennt, ähnlich wie GPS Systeme im Fußball oder Rugby, wo diese Technologie schon seit Jahren eingesetzt wird. In Echtzeit werden mit dem KINEXON System zahlreiche Positionsdaten erfasst und in Metriken wie z.B. Sprints, zurückgelegte Distanz und Sprunghöhen umgesetzt. Zur Messung tragen die Spieler unter der Spielkleidung im Nackenbereich zwischen den Schulterblättern Sensoren, die in etwa die Größe einer Streichholzschachtel haben. Das System erfasst die Positionsveränderungen und Beschleunigungen. Dies bietet uns die Möglichkeit, Belastung und Leistung zu quantifizieren. So kann man in den nachfolgenden Trainingswochen datenbasiert individuell reagieren und das Training gegebenenfalls anpassen.
Ist das der nächste Schritt in der Trainingsweiterentwicklung?
Jochen Baumeister: Am Ende muss das Gesamtpaket in der Ausgewogenheit zwischen Training und Wettkampf hinsichtlich der sportartspezifischen Anforderungen stimmen. Mit unserer Arbeit haben wir das Rad nicht neu erfunden, aber es ist längst nicht mehr so, dass allein Erfahrung ausschlaggebend für die Steuerung der Trainingseinheiten ist. Vielmehr wollen wir dem Trainerteam eine datenbasierte Unterstützungshilfe geben. Am Ende muss die Technologie aber auch immer in der Lage sein mitzuhelfen, den einzelnen Sportler besser zu machen.
Du bist Professor an der Universität Paderborn, was kannst Du Deinen Studenten aus der Zusammenarbeit mit der SG weitergeben?
Jochen Baumeister: Es ist ja so, dass auch einige meiner Studenten gerade zum Trainingsauftakt, die Lauf- und Sprungtests mit den Spielern durchführen und diese dann auch entsprechend auswerten. Für die Studenten ist es immer besser, nah am Feld der angewandten Trainingswissenschaften und Neurowissenschaften zu sein, um die Zusammenhänge besser verstehen und dementsprechend anwenden zu können. Die Inhalte sind praxisorientiert, so finden einige Lehrveranstaltungen längst fernab der Hörsäle statt, sondern in Hallen oder auf Sportplätzen. Dort wo eben trainiert wird. Die Zusammenarbeit mit Spitzensportvereinen wie der SG, ermöglicht uns, Studenten speziell fürs Athletiktraining im Leistungssport auszubilden und ihnen die Nähe zum Sport auch im Alltag zu vermitteln.
Auch die Forschung ist ja in Deiner Arbeit ein elementarer Bestandteil, wie kann man das vorantreiben?
Jochen Baumeister: In der Forschung versuchen wir, schon an der nächsten Ebene zu arbeiten. Wir möchten die Methoden von morgen und übermorgen entwickeln, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) Zustände klassifizieren, um Vorhersagen zu treffen. Bei KI geht es um Selbstlernalgorithmen von Computern, die Muster und Konzepte anhand der erfassten Daten erlernen. Dadurch kann der PC im Idealfall unterstützend in die Trainingssteuerung eingreifen. In der Praxis würde man den Computer mit den Positionsdaten der Spieler füttern, um Zustände wie Ermüdung oder Verletzungsrisiko vorhersagen zu können. Der PC gibt dann in Form eines Ampelsystems unterstützende Hilfestellung zur Belastungssteuerung ans Trainerteam. Das hört sich im Moment noch sehr zukunftsorientiert an, ist aber in vielen Bereichen unseres Lebens schon Alltagsrealität. Die Frage ist also nicht, ob neue Technologien in den Handball einziehen, sondern wie wir so damit umgehen, dass wir die Technologie so gut wie möglich einsetzen können. Für diese innovative Umsetzung ist die SG sehr aufgeschlossen und u.a. deshalb für uns ein ganz wertvoller Partner.
Abschließend: Was zeichnet die Zusammenarbeit der SG mit der Uni Paderborn besonders aus?
Jochen Baumeister: Das Besondere ist sicherlich, dass auf den unterschiedlichen Ebenen Sport und Wissenschaft Menschen zusammenarbeiten, die auf einer Welle liegen, die sich gut verstehen und die sich gegenseitig großes Vertrauen entgegenbringen. Jeder von uns arbeitet fachlich sehr unterschiedlich, dennoch ist es ein absoluter Gewinn, diese verschiedenen Perspektiven und Ansichten zusammenzubringen und somit ein erfolgreiches Ergebnis mit optimaler Leistung zu erzielen. Mir persönlich macht es großen Spaß, Fachlichlichkeit, Vertrauen und Freude an der Arbeit zu verbinden. Das ist bei uns allen gegeben. Ich hoffe, dass wir gemeinsam die nächste Stufe erreichen und wir z.B. das KINEXON System ideal in den Trainings- und Wettkampfalltag der SG einbringen können.