Profi-Erfahrungen im Berufsalltag

- Leon Kirschberger im Portrait der Woche

Im Kader eines Spieltags ist Platz für 16 Handballer. So viele können eingesetzt werden, doch längst nicht immer in dieser Saison hatte die SG Flensburg-Handewitt alle Profis zur Verfügung. Dann schlug häufig die Stunde der Youngsters. Aus der Nachwuchsriege kam am häufigsten in dieser Spielzeit der 22-jährige Leon Kirschberger zum Einsatz. Der Rechtsaußen trug schon als Kind das Trikot der SG.

Für andere mag es nach Stress klingen. Leon Kirschberger hingegen spricht von einer „perfekten Situation“ und meint damit einen Tagesplan, der kaum Freizeit kennt, aber seiner Passion, dem Handball, viel Raum lässt. Der junge Mann steht früh auf und fährt zur Schleswiger Straße, wo er noch bis Juni beim SG Premium-Partner Queisser Pharma arbeitet. Dann mischt er sich beim Bundesliga-Training oft unter die Profis. Mittags kehrt er an seinen Arbeitsplatz zurück und lässt nach Feierabend eine Krafteinheit oder eine Übungseinheit beim SG Kooperationspartner DHK Flensborg folgen. Im letzten Sommer verstärkte der Linkshänder sogar während der kompletten Vorbereitung den Kader von Coach Maik Machulla, da dieser mit Johan Hansen nur einen etatmäßigen Rechtsaußen zur Verfügung hatte. Für einen jungen Spieler sind das ganz andere Handball-Dimensionen. „Man muss in jeder Übungseinheit wesentlich fokussierter und aufmerksamer sein, um bei dem Trainingsniveau mitzuhalten“, stellte Leon Kirschberger schnell fest. „In der Jugend kann man dem Linksaußen auch einmal Platz geben, ein Emil Jakobsen hingegen nutzt ganz andere Winkel.“

Die ersten Pflichtspiele
Dann kamen der September und damit die Zeit der ersten Pflichtspiele. „Am Anfang der Saison hatte ich gehofft, bei einem oder vielleicht zwei Spielen auf der Bank zu sitzen“, verrät der 22-Jährige. „Aber ich hätte nie gedacht, dass ich so viele Spielanteile erhalten würde.“ Es begann schon fast verrückt. Um das erste Auswärtsspiel bestreiten zu können, musste Leon Kirschberger eine Klassenfahrt absagen. Statt mit der Berufsschulklasse Wirtschaftsbetriebe im Stuttgarter Raum zu besichtigen, weilte er plötzlich mit den Spitzenhandballern im Hamburger Volkspark. Sein richtiges Debüt gab er in der Heimpartie gegen Minden, als Johan Hansen verletzt war. Leon Kirschberger spielte rund 45 Minuten – und das vor rund 6000 Zuschauern. Um alles unter einen Hut zu bringen, steht er im regelmäßigen Austausch mit Michael Döring. Der Athletiktrainer kümmert sich auch um die Koordination mit dem DHK, verschickt Trainings- und Reisepläne. Mehrmals schon war Leon Kirschberger mit auf Auswärtstour und sammelte internationale Sporen. In der EHF European League durfte er zwei Mal gegen Budapest ran. Und in Aix-en-Provence verwandelte er sogar einen Strafwurf. „Das ging von den Jungs aus, denn ich war nie ein Siebenmeter-Schütze, sollte in Frankreich aber auch mein Tor bekommen“, sagt Leon Kirschberger und bilanziert: „Ich habe neue Motivation bekommen, viel gelernt und bin nun bereit für den nächsten Schritt.“

Im Austausch mit Weltklasse-Handballern
Die Profis nahm er allesamt als hilfsbereit wahr, er fühlte sich schnell integriert. „Das sind alles Weltklasse-Handballer, aber man kann gut mit ihnen sprechen“, verrät er. „Am Anfang war das schon komisch, denn bis dahin kannte ich sie nur vom Sehen, wenn sie mal vor uns in der Duburghalle trainiert hatten.“ Nun erhielt der junge Rechtsaußen Tipps von Jim Gottfridsson und Mads Mensah, wie er sich bei Spielzügen oder in der Abwehr zu verhalten habe. Von Magnus Rød, Franz Semper oder Teitur Einarsson, den Linkshändern, kamen Hinweise, wie er sich für die Passwege richtig zu bewegen habe. Und bei den Reisen teilte sich der Youngster mit Johan Hansen, dem Positionskollegen, das Zimmer. „Johan ist ein netter Kerl, mit dem man gut Zeit verbringen kann“, stellte der Youngster fest.

Der Tagesablauf
Leon Kirschberger hat gewiss Blut geleckt und hofft auf mehr. „Ich setze derzeit voll auf die Handball-Schiene“, betont der Nachwuchsmann. „Deshalb habe ich mir von meinem Arbeitgeber ein paar Freiräume zusichern lassen.“ Im Januar hatte er die Ausbildung zum Industriekaufmann abgeschlossen und beschäftigt sich nun in der Exportabteilung von „Queisser Pharma“ um Lieferungen nach Dänemark oder Bulgarien. Zwischendurch darf er zum Training. Und wenn längere Fahrten nach Stuttgart oder Frankreich anstehen, nimmt Leon Kirschberger entweder Urlaub oder bekommt auch mal den einen oder anderen Tag extra. Wenn er nicht für die SG aufläuft, spielt er für DHK Flensborg in der dritten Liga. Er muss sich immer wieder umstellen. „Wenn ich drei Wochen nicht beim DHK war, muss ich mich auch da erst einmal wieder einleben“, berichtet Leon Kirschberger. Dann muss er sich manchmal als zweiter Rechtsaußen hintenanstellen.

Die Vita
Die zuletzt steile Sport-Karriere war lange nicht absehbar. Der gebürtige Berliner zog mit der Familie nach Schleswig, weil es der Beruf des Vaters so vorsah. Niemand hatte etwas mit Handball am Hut. Die beiden älteren Brüder schwuren auf Basketball und Fußball. Der Vater war für einen Sponsor ab und an geschäftlich in der FLENS-ARENA und nahm dann seine Frau und seinen jüngsten Sohn mit. Für den Sechsjährigen war es einfach nur aufregend, einen so flinken Linkshänder wie Lasse Svan über das Parkett flitzen zu sehen. Beeindruckend auch die große Kulisse und dann das Autogramm von Lars Christiansen. Der kleine Leon hatte nun einen Wunsch: Er wollte unbedingt auch Handball spielen. Er fing bei Schleswig IF in den „Minis“ an, dort kam aber keine F-Jugend zusammen. Die Mutter recherchierte, wo es entsprechende Handball-Teams geben würde. Hatte die SG nicht auch eine Jugendabteilung? Ja, tatsächlich! Fortan fuhr die Mutter ihren handballbegeisterten Sohn einmal die Woche von Schleswig zur Duburghalle. Mit den Altersklassen wuchs das Pensum. Dann waren es zwei Übungseinheiten, später sogar drei oder noch mehr. „Ich bin echt dankbar für diesen Grundbaustein“, erzählt Leon Kirschberger. „Meine Mutter hat all die Jahre ihre Zeit geopfert und mich immer nach Flensburg gefahren – bis ich Ende 2018 endlich selbst einen Führerschein hatte.“

Die Perspektiven
Das spannendste Jahr war wohl die letzte Saison in der Jugend. Da durfte der Rechtsaußen schon in der dritten Liga der Männer auflaufen und stürmte gleichzeitig mit der A-Jugend in die Endspiele um die deutsche Meisterschaft. In der Handewitter Wikinghalle wurden dann tatsächlich die Rhein-Neckar Löwen geschlagen und der Meister-Pokal entgegengenommen. „Es herrschte eine tolle Harmonie in der Mannschaft“, erinnert sich Leon Kirschberger. „Mit Michael Jacobsen hatten wir einen sehr guten Trainer, der mich praktisch die ganze Jugend begleitet hatte.“ Einige Teamkameraden wie Niels Versteijnen, Marek Nissen oder Magnus Holpert sind inzwischen bei Profi-Klubs untergekommen. Auch für Leon Kirschberger stehen die Zeichen auf Abschied. „Ich möchte den nächsten Schritt gehen“, erklärt der 22-Jährige, der einen Berater eingeschaltet hat, um einen Profi-Verein zu finden. Eine Option wäre es, ein Wirtschaftsstudium in Dänemark aufzunehmen und sich dort vielleicht einem starken Team anzuschließen. Die nächsten Wochen bleibt es aber noch in Flensburg spannend und der Tagesablauf eng. „Meine Familie sehe ich bei den Spielen in der FLENS-ARENA oder beim DHK“, sagt Leon Kirschberger mit einem Lächeln. Seine Zeit opfert er gerne für den Handball.