Gerichtsurteil befeuert die SG Philosophie

- SG Historie mit einem Blick zurück vor 25 Jahren

Im Sommer 1996 hatten sich die Wechsel-Modalitäten im Profi-Handball grundsätzlich geändert. Nach dem sogenannten Bosmann-Urteil genossen Sportprofis europaweit eine neue Freizügigkeit. Die in der Handball-Bundesliga praktizierte Beschränkung auf einen ausländischen Spieler war hinfällig. Viele Vereine blickten über die Grenzen – auch die SG Flensburg-Handewitt.

Der 15. Dezember 1995 war ein Tag, an dem abseits der Sportstätten Sportgeschichte geschrieben wurde. Der belgische Fußballer Jean-Marc Bosmann hatte einst gegen eine Ablösesumme geklagt. Ein Fall für die Justiz, der schließlich den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg erreichte. Ein Grundsatzurteil stellte klar, dass Profi-Fußballer in der Europäischen Union (EU) zukünftig nach Vertragsende ohne Ablösesumme wechseln und in den damals 15 EU-Staaten eine unbegrenzte Anzahl von EU-Ausländern eingesetzt werden dürfen. „Das Urteil berücksichtigt einzig und allein die Gepflogenheiten im professionellen Fußballgeschäft“, äußerte sich DHB-Vize-Präsident Ulrich Strombach zunächst reserviert. „Für den Bereich des DHB gelten weiter die bestehenden Satzungen und Ordnungen.“ Doch die Richter in Luxemburg hatten auch Handball-Europa verändert. „Verbände wie Eishockey, Basketball und Handball wurden nicht nur aus Spaß in Brüssel angehört“, mahnte der Ligavorsitzende Heinz Jacobsen an. Bereits Anfang Januar 1996 traf sich das DHB-Präsidium in Hannover, um mit Rechtsexperten die Situation zu beraten. Die Erkenntnis: Es gab keine Alternative, als dem Bosman-Urteil zu folgen. Für alle Spieler aus den damals 15 EU-Staaten plus Norwegen und Island wurde fortan kein „A“ mehr in den Spielerpass eingetragen. Einen „Run“ auf dem Transfermarkt lösten die neuen Rahmenbedingungen nicht sofort aus, da die Wechselfrist zum 31. Dezember 1995 ausgelaufen war. Nur die abstiegsbedrohten Mindener hatten rechtzeitig mit dem kroatischen Torwart Vlado Sola einen Vorvertrag abgeschlossen, der nun gültig wurde, da der Schwede Robert Hedin den Ausländerplatz nicht mehr besetzte.

Zwei Dänen und ein Norweger
Die SG hielt für die nächste Saison Ausschau. Der Däne Jan Eiberg Jörgensen stand bereits unter Vertrag. Den Norweger Roger Kjendalen kannte man aus der Bundesliga. Mit Trainer Anders Dahl-Nielsen rückte vor allem das nördliche Nachbarland in den Fokus. „Damals saß man häufiger am Sonntagnachmittag auf dem heimischen Sofa und schaute sich die Handball-Übertragungen im dänischen Fernsehen an“, erinnert sich Dierk Schmäschke, der schon damals Geschäftsführer war. „Häufiger sind einem Spieler aufgefallen, und dann waren wir zu Verhandlungen nach Kopenhagen.“ Rechtsaußen Christian Hjermind sagte zu. Auf der Wunschliste stand auch Lars Christiansen. Der Linksaußen sollte zum Rekordspieler der SG werden und verhandelte damals mit SG Manager Manfred Werner. „Bei den Gesprächen sagte mir Manni, dass es mit dem Wechsel nur klappen kann, wenn mindestens ein zweiter Ausländer zugelassen werde – aber höchstwahrscheinlich werden es sogar mehr“, erzählt der 49-Jährige. „Mir kam das Bosman-Urteil sehr gelegen, denn so konnte ich mir meinen Traum erfüllen und in Flensburg spielen. Die SG hatte ich schon vorher im Blick.“ Schwierig waren nur die Modalitäten, die mit dem bisherigen Verein Kolding IF vereinbart werden mussten.

Eine nordische Philosophie
Die SG erhielt eine nordische Note. Die Änderungen für den Profisport waren mannschaftsintern aber kein großes Thema. „Wir haben schon darüber gesprochen, aber die Auswirkungen waren im gesamten Umfang noch gar nicht zu überschauen“, erinnert sich der damalige Rückraumspieler Jan Fegter, „Wir dachten, da kommen ein paar Skandinavier, die man in Flensburg ohnehin nicht als Ausländer wahrnimmt.“ Von der Vereinsseite war man um eine rasche Integration der Neuzugänge bemüht, wie Lars Christiansen weiß. „Christian Hjermind und ich waren noch vor der Sommerpause zu einem Mannschaftstreffen mit Baden und Sauna eingeladen“, verrät er. „Dann folgten sechs Wochen Urlaub – und als die Vorbereitung losging, kannten wir uns bereits.“ Eine Umstellung war die Leistungsdichte. Der junge Linksaußen hatte in Kolding immer durchgespielt, hatte bei der SG nun aber Holger Schneider, den Kapitän, vor der Nase. „Beim ersten Spiel in Großwallstadt kam ich gar nicht zum Einsatz“, erinnert sich Lars Christiansen. „Das gefiel mir überhaupt nicht – und das ließ ich Anders Dahl-Nielsen auch wissen.“ Insgesamt erwies sich der Einbau der drei neuen EU-Ausländer als unproblematisch. „Roger Kjendalen kannte die Bundesliga, Lars Christiansen konnte bereits Deutsch, und Christian Hjermind war so ehrgeizig, dass er es nach drei Monaten konnte“, berichtet Jan Fegter.

Kritische Stimmen
Nicht alle waren mit der neuen Entwicklung zufrieden. Bundestrainer Arno Ehret fürchtete um die Stärke der deutschen Nationalmannschaft. „Die Bemühungen, die eigene Jugend weiterzuentwickeln, werden dadurch deutlich erschwert“, meinte er.  Für die Klubs war es nun verlockend, günstige Spieler aus dem Ausland zu verpflichten und die eigene Nachwuchsarbeit zu vernachlässigen. „Die besten jungen Handballer sind immer nach oben gekommen“, beobachtete indes Jan Fegter. „Vor allem steigerte sich das Niveau der Bundesliga, die für die Zuschauer immer attraktiver wurde.“ Dierk Schmäschke geht sogar noch weiter. Der Geschäftsführer ist sich sicher, dass die SG ohne das Bosman-Urteil und seinen Folgen nicht in der heutigen Form existieren würde. „Damals entstand unsere deutsch-skandinavische Philosophie“, erklärt er. „Wir waren nun nicht mehr der Verein aus der wirtschaftsschwachen Grenzregion, sondern das Tor nach Skandinavien.“