„Geht doch!“

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 13

Der 20. September 2003 war kein normaler Handball-Tag. Viele Zuschauer verließen traurig die Campushalle, andere applaudierten dem Gegner, wiederum andere skandierten: „Wir wollen euch kämpfen sehen!“ Um 19.30 Uhr war die Welt noch in Ordnung gewesen, beim Abpfiff hatte sich die Zeitangabe in ein erschütterndes Ergebnis verwandelt. 19:30 gegen Magdeburg – so hoch hatte die SG Flensburg-Handewitt noch nie zu Hause verloren. Die angestrebte Meisterschaft erschien urplötzlich ganz weit entfernt.

Nach dem Magdeburg-Desaster regten sich erste Zweifel an der Einkaufspolitik. Von den Neuzugängen erfüllte lediglich der neue „zweite Mann“ im Tor, der Schwede Dan Beutler, die Erwartungen. Johnny Jensen, den die SG als Abwehr-Spezialisten und „Mädchen für alles“ im Angriff verpflichtet hatte, verdiente sich zunächst nur das Prädikat „Mitläufer“. Bald bewies der Norweger, wie er am Kreis ackerte und in der Abwehr zupacken konnte. „Bislang waren wir zu nett“, meinte Manager Thorsten Storm. „Wir hatten zu viele Lieblings-Schwiegersöhne auf dem Spielfeld.“ Ein weiteres Manko: Marcin Lijewski war im rechten Rückraum auf sich allein gestellt. Eigentlich sollte der Este Kaupo Palmar kommen. Doch sein bisheriger Klub IFK Ystad erteilte keine Freigabe. Als einjährige Interims-Lösung fungierte schließlich der 37-jährige Pierre Thorsson, der wegen akuter Schulter-Probleme nur in der Abwehr helfen konnte. Die komplette SG Mannschaft traf sich nach dem 19:30-Heimdebakel gegen Magdeburg in einem griechischen Restaurant – zur „Krisen-Bewältigung“. Schon am nächsten Wochenende fertigte die SG den Aufsteiger Stralsund mit 41:22 ab. Und nur 14 Tage nach dem „Tal der Tränen“ saßen die Förde-Handballer auf dem Bundesliga-Thron.

Wichtige Auswärtspunkte
Die „Wochen der Wahrheit“ standen aber noch bevor. In Essen und Lemgo reichte es für einen Zähler, in Nordhorn glückte ein Sieg. Die zweite Etappe der vierfachen „Auswärts-Tortur“ bescherte den Husarenstreich schlechthin. Zum zweiten Mal binnen eines Jahres knackte die SG die einst uneinnehmbare Festung „Ostseehalle“. Das 31:29 war eine Bestätigung der letzten Landesderbys. Ein Vorteil, dass Christian Berge pünktlich zum „Kracher“ wieder voll belastbar war. In der Bundesliga sicherte sich die SG mit einer stolzen Bilanz von 30:4 Zählern vor Magdeburg (27:7), Lemgo (26:8), Kiel (26:8) und Hamburg (26:8) zum dritten Mal nach 1999 und 2000 die inoffizielle Herbstmeisterschaft. Die Handschrift des neuen Trainers Kent-Harry Andersson war immer mehr zu sehen. Das neue Zauberwort „Kollektiv“ machte die Runde. Ein Wermutstropfen: Lars Krogh Jeppesen unterzeichnete ab der Serie 2004/05 einen Fünf-Jahres-Vertrag beim FC Barcelona.

Erfolgreiche Premiere in der Champions League
Ein intensiver Tanz auf drei Hochzeiten war im Gang. Ein neues Kapitel in der Vereinsgeschichte hatte sich bereits am 11. Oktober 2003 geöffnet: die Champions League. Viele Fans folgten ihren Lieblingen mit Schiff und Bus nach Göteborg. Die Tour lohnte sich. Die SG siegte bei Redbergslids IK mit 34:33. Im „Krimi von Celje“ verpasste die SG den Staffelsieg. Über Kolding und Zagreb bewegte sie sich ins Halbfinale. Es folgten die „Magdeburg-Wochen“, die der Bundesliga-Gipfel in der Bördelandhalle einleitete. Ohne Christian Berge (Knochenhautentzündung) und Sören Stryger (Adduktoren) war die 26:32-Niederlage keine Überraschung. Nur elf Tage später sahen sich die beiden Kontrahenten in der Campushalle wieder. Es ging um den Einzug in die Endspiele der Champions League. Die SG distanzierte den SCM deutlich. Ohne Jan Holpert wäre ein 30:20 als Ausgangsbasis nie möglich gewesen. Er lehnte jegliche Gratulation ab: „Wenn die einen Lauf kriegen, kann das noch sehr eng werden.“ Der Keeper sollte Recht behalten: Die letzte Spielminute war angebrochen, als die Magdeburger beim 36:25 erstmals in der Gesamtwertung vorne lagen. Im Gegenzug behielt Lars Krogh Jeppesen die Nerven. Kent-Harry Andersson grinste: „Nach einer Zehn-Tore-Niederlage war ich noch nie so glücklich wie heute.“

Die Endspiele gegen Celje
Ein „goldener“ Frühling kündigte sich an. Vor die immer wahrscheinlicher werdende Meisterfeier schob sich das Wiedersehen mit dem RK Celje, der ebenfalls durch die Champions League marschiert war. In der slowenischen Steiermark herrschte der Ausnahmezustand. Überragend der Weißrusse Sergei Rutenka, der gleich 13 Mal einlochte. „Wir können uns noch steigern, während Celje schon am Optimum spielte“, hatte Lars Christiansen nach dem 28:34 die Zuversicht nicht verloren. Mit der gewaltigen Unterstützung der „Hölle Nord“ stellte sich die SG immer besser auf die unangenehme 5:1-Abwehr von Celje ein. Zwei Mal – beim 24:20 und 28:24 – glaubte die Campushalle an die große Wende. Doch dann zerstörten leichte Ballverluste den Traum. Als das SG Team am Abend auf dem Gelände der Flensburger Brauerei, wo ein Event mit Live-Musik stattfand, die Bühne betrat, hatten sich die traurigen Mienen aufgeheitert. „Unser Saisonziel war und ist es, die deutsche Meisterschaft zu gewinnen“, betonte Thorsten Storm. „Die Champions League war ein Zubrot.“

Der zweite Hamburg-Coup
Eine Woche später war der erste Titel eingefahren. Wie im Frühjahr 2003 waren es die SG-Spieler, die im klebrigen Regen der Sekt-Fontänen von Hamburg standen. Während man damals mit dem DHB-Pokal den ersten nationalen Titel ausgiebig feierte, flog diesmal ein Hauch von Routine mit. „Im letzten Jahr war der Sieg emotionaler, jetzt ist er sportlich wertvoller“, sagte Jan Holpert nach dem 29:23 im Finale gegen Hamburg. Vor allem die Ruhe und Cleverness im Halbfinale ließ aufhorchen. 20 Minuten vor Schluss lagen die Nordlichter gegen den THW Kiel mit 18:23 zurück. Zudem hatten Lars Christiansen und Sören Stryger ihre Siebenmeter verworfen. Ein normales Team wäre in dieser Situation eingebrochen. Nicht so die SG! Sie ging auf die Überholspur und sicherte ihren Anhängern mit dem 33:31 einen zweiten Tag.

Freudenfest am 16. Mai 2004
Kent-Harry Andersson wollte nach dem Triumph keinen „Freifahrtschein“ für eine große Sause verteilen. „Morgen ist kein Training – dann müssen wir uns auf die letzten drei Bundesliga-Spiele konzentrieren.“ Doch die mitgereisten Fans waren so sehr in Glückseligkeit verfallen, dass die Vereinsführung schnell reagierte. „Campushalle wird Schampushalle“, hieß das Motto. Eine Woche später verließen gleich zehn Busse mit dem Ziel Hannover die Fördestadt. Dort gastierte die SG bei GWD Minden. Die Westfalen hatten beim 28:43 keine Chance. Der SG fehlte nur noch ein winziges Pünktchen. Am 16. Mai 2003, beim „Endspiel“, breitete sich nur kurz ein ängstliches Schweigen in der proppevollen Campushalle aus. Nordhorn führte nach zehn Minuten mit 4:3. Ein Treffer von Lars Krogh Jeppesen, gar ein „Hattrick“ von Johnny Jensen – das 7:4 war Balsam für die Nerven. Der Vorsprung der Hausherren wuchs stetig, während der Gesang der Fans ständig an Intensität gewann. „Deutscher Meister wird nur die SG...“ Der Spielverlauf und der 41:32-Endstand waren nur noch Chronisten-Pflicht. Als besondere Nummernschilder mit dem Schriftzug „SG DM 2004“ verteilt wurden, war jedem bewusst: Deutscher Meister 2004 ist die SG Flensburg-Handewitt!

Folge 14 am Montag: Ein emotionales Wiedersehen