Eine neue Handball-Arena

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 11

2. Dezember 2001: „Willkommen in der neuen Hölle Nord“, meldete sich Hallensprecher Holger Jessen wenige Minuten vor dem Anpfiff. Auf dem Vorplatz standen noch die Baumaschinen, doch in der funkelnagelneuen Campushalle saßen 6300 erwartungsvolle Zuschauer. Die SG Flensburg-Handewitt traf auf den ThSV Eisenach. Den ersten Treffer in der neuen Spielstätte erzielte für die Gäste der Norweger Preben Vildalen. Den ersten Torjubel entfachte im Gegenzug Thomas Knorr. Nach dem 30:22-Erfolg bedankte sich das SG Team mit einer „vierseitigen Taufe“ beim Publikum. Dann glitt der Abend in ein großes Show-Programm über.

Die Einweihung der Campushalle, der heutigen FLENS-ARENA, war ein Meilenstein für die Entwicklung der SG. Lange hatte die Vereinsführung für eine Halle mit einem größeren Fassungsvermögen gekämpft, um die große Kartennachfrage zu befriedigen und mit den erwarteten Mehreinnahmen den Spitzenhandball dauerhaft im Grenzgebiet zu etablieren. Das zunächst favorisierte Konzept betraf die Erweiterung der Fördehalle. Dann schaltete sich der Kreis Schleswig-Flensburg ein und schickte ein eigenes „Steckenpferd“ ins Rennen: Nach dem Vorbild der Braunschweiger Volkswagenhalle sollte in Handewitt eine Multifunktionshalle errichtet werden. Fördermittel, signalisierte die Landesregierung, könnten nur fließen, wenn Stadt und Kreis an einem Strang ziehen würden. Dann betrat ein neuer Akteur die Bühne: die Flensburger Universität. Dessen Rektorat verlegte die Hallenfrage in den Kontext der wachsenden Bildungsstätte und schlug den Campus auf dem Sandberg als Standort vor. Es war so etwas wie der gordische Knoten. Am 6. Oktober 2000 erfolgte der erste Spatenstich. Nach 14 Monaten Bauzeit stand die Campushalle.

Nicht im Favoritenkreis
In die Saison 2001/2002 startete die SG noch in der Fördehalle – und mit Galgenhumor. „Wir müssen alles daran setzen, Weihnachten noch nicht Tabellenführer zu sein“, feixte Kapitän Jan Fegter. Sein Verein gehörte ausnahmsweise nicht zu den Top-Favoriten, da im Kader einige Änderungen zu verzeichnen waren. An zwei Stellen gab es keine Probleme. Frode Scheie ordnete sich in der Torwart-Hierarchie klaglos hinter Jan Holpert ein. Der dänische Rechtsaußen Sören Stryger stopfte die von Christian Hjermind (Ciudad Real) hinterlassene Lücke. Zur Baustelle wurde der rechte Rückraum: Nach neun Jahren war Jan Eiberg Jörgensen in die dänische Heimat zurückgekehrt. Nachfolger Jörg Kunze verfolgte eine Pechsträhne. Da auch Linkshänder-Kollege Maik Makowka zahlreiche Verletzungssorgen hatte. Matthias Hahn hatte seine Karriere beendet. Dennoch verpflichtete die SG neben Andrej Klimovets keinen weiteren Kreisläufer.

Eine neue Deckungsformation
Die SG entwickelte sich zur launischen Diva. Konnte die Niederlage in Magdeburg noch als normal eingestuft werden, war jene von Lemgo von ärgerlicher Natur. Gar nicht ins Kalkül passte die Schlappe von Göppingen. Erik Veje Rasmussen grübelte: „Die 3:2:1-Abwehr war in Göppingen unglaublich passiv, agierte ängstlich – ohne Härte und Aggressivität.“ Für ihn war der Entschluss gefallen, das jahrelange Defensiv-Markenzeichen umzukrempeln. Die neue „Zauberformel“ hieß 6:0. In die Phase der taktischen Umorientierung fiel der Bundesliga-Abschied aus der Fördehalle. Obwohl drei Tage später noch das Europapokal-Spiel gegen den hoffnungslos unterlegenen österreichischen Vertreter Bärnbach-Köflach folgte, hatte der 14. November 2001 historisches Format. Nach den 60 Handball-Minuten herrschte nicht Wehmut, sondern tiefe Niedergeschlagenheit. Das 30:31 gegen die SG Wallau-Massenheim bedeutete das Ende einer stolzen Bilanz. Seit dem 10. Dezember 1999 hatte die SG in 32 Bundesliga-Partien zu Hause nicht mehr verloren.

Nicht in der Spitzengruppe
Nach dem Umzug in die Campushalle lagen angesichts der bescheidenen Zwischenbilanz einige Personalien auf dem Tisch. Igor Lavrov verließ das SG-Deck. Der schnelle Russe passte nicht mehr ins Konzept. Dafür zauberte die SG das dänische Kraftpaket Joachim Boldsen aus dem Hut. Nach eigenem Bekunden hatte sich der 23-jährige Rückraumspieler in der dänischen Liga „gelangweilt“. Das „Kampfschwein“ spielte sich schnell in die Herzen der Zuschauer. Thomas Knorr schloss sich indes seinem Stammklub VfL Bad Schwartau an. Die Aufholjagd in der Bundesliga blieb aus. Am 8. März 2002 fand sich die SG endgültig auf dem Boden der Tatsachen wieder. Unglaublich, aber wahr: In der 46. Minute versenkte Lars Krogh Jeppesen den Ball zum 26:18. Der TBV Lemgo musste ein Debakel befürchten. Dann war Funkstille. Der letzte Wurf von Joachim Boldsen landete am Innenpfosten. Das 26:26-Remis war besiegelt. Das 20:27 gegen die HSG Nordhorn war die höchste Heimpleite seit 17 Jahren.

Der Skandal von Ciudad Real
Auf internationaler Ebene funzelte das SG Licht noch. Im Cup der Pokalsieger schafften die Nordlichter ihren sechsten europäischen Finaleinzug in Folge. Die 22:31-Niederlage in Ciudad Real geriet zur Nebensache. Das erste Finale gipfelte in einem Skandal. Ausgangspunkt war eine heftige Rangelei zwischen Lars Krogh Jeppesen und Rolando Urios in den letzten Sekunden der Partie. Nachdem einige Mitspieler beider Seiten hinzugeeilt waren, um die Streithähne zu trennen, mischten sich auch Zuschauer, Offizielle und Ordner ein. Blitzartig entstand eine unübersichtliche Menschentraube, in der geschubst, getreten und geschlagen wurde. Ciudad-Trainer Veselin Vujovic sprintete gut 25 Meter über das Spielfeld, um sich dann wie ein „asiatischer Kämpfer“ in das Chaos zu stürzen. Mit gestrecktem Bein traf er zunächst Lars Christiansen, dann traktierte er Lars Krogh Jeppesen mit Fußtritten und Faustschlägen.

Sanktionen der EHF
In den Tagen danach beschäftigte sich die EHF in Wien mit den Geschehnissen in Ciudad Real. Am schlimmsten traf es Veselin Vujovic. Er durfte weder die Campushalle noch das direkte Umfeld der Spielstätte betreten. Der „Bannstrahl“ traf auch zwei Spieler: Zum einen Rolando Urios, zum anderen völlig überraschend Christian Berge. Laut Urteilsbegründung soll der Norweger den Kubaner „verfolgt“ haben. Die deutsche Presse hatte längst ihre Schlagzeile: „Erst verloren, dann verprügelt, jetzt bestraft.“ An diesen ungeheuren Vorkommnissen entzündete sich ein großes Echo für das Rückspiel. Beim Einlaufen des Gäste-Teams drehte sich das Gros der 6000 Zuschauer demonstrativ ab. Kurz vor Ende erhöhte die SG auf 29:22 – die Sensation war zum Greifen nah. Mehr allerdings nicht. Ciudad Real feierte auf dem Parkett. Die Campushalle erlebte zum Saisonende ein zweites Mal einen jubelnden Gast. Der THW Kiel gewann am letzten Spieltag das Landesderby und wurde deutscher Meister. Die SG landete auf Rang vier.

Folge 12 am Mittwoch: Das Ende des „Ewigen Zweiten“