Ein Top-Torwart ist die halbe Miete

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 4

Am Abend des 2. Juli 1993 kam die Nachricht über das Radio: Der TSV Milbertshofen meldete sein Team aus der Bundesliga ab. Die eigentlich abgestiegene SG Flensburg-Handewitt musste nicht den Weg in die Zweitklassigkeit antreten. Der gebürtige Flensburger Jan Holpert, damals noch Torwart bei „Mil“, machte auf dem Weg in den Urlaub gerade Halt bei seinen Eltern, als ihn die Nachrichten aus München erreichten. Plötzlich war er vereinslos.

Die SG musste einfach zugreifen: Jan Holpert zählte erst 25 Lenze, hatte aber bereits sieben Jahre Bundesliga auf dem Buckel und gehörte dem DHB-Kader an. „So ein Torwart ist die halbe Miete“, frohlockte SG Coach Anders Dahl-Nielsen. Die Vorschusslorbeeren waren berechtigt. Gleich im ersten Heimspiel gegen Wallau-Massenheim erwies sich Jan Holpert mit 19 Paraden bei nur 17 Gegentreffern als der entscheidende Rückhalt. Mit ihm schnupperte die SG alsbald Höhenluft, da sie  ihr Pensum mit einer wesentlich größeren Sicherheit und Abgebrühtheit als noch im Vorjahr absolvierte. Schlagwörter wie der „Holpert-Effekt“ oder die „SG Holpert“ machten die Runde in der Handball-Szene.

Großer Sieg im Landesderby
Strapaziöse Abstiegskämpfe sollten der Vergangenheit angehören. SG Schatzmeister Helmut Ermer machte deutlich: „Nach einem weiteren Flop ist ein nochmaliger Kraftakt nicht machbar.“ Neben Jan Holpert fügte sich ein weiterer Neuzugang nahtlos ein: Markus Hochhaus. Der Ex-Nationalspieler war aus Großwallstadt gekommen, um die Nachfolge von Walter Schubert (nach Minden) auf der Spielmacher-Position anzutreten. Am 12. Dezember 1993 erlebte die Flensburger Fördehalle erstmals ein Landesderby, das auch das Prädikat „Spitzenspiel“ verdiente. Die SG bügelte  die „Zebras“ mit 21:14 weg. „Was wir alle zusammen geboten haben, war einfach klasse“, schwärmte SG Coach Anders Dahl-Nielsen. Ein weiterer Husarenstreich glückte der SG auf dem Lemgoer Lüttfeld: ein deutliches 24:18. Es sprang der vierte Platz heraus.

Eine Hand am DHB-Pokal
Außerdem erreichte die SG die erstmals in Hamburg stattfindende Endrunde um den DHB-Pokal. Am 11. Mai 1994 stiegen die beiden Halbfinals in der Alsterdorfer Sporthalle. Gegen den OSC Rheinhausen musste die SG lange zittern, gewann nach Verlängerung mit 19:17. Das Endspiel gegen die SG Wallau-Massenheim entwickelte sich zunächst ganz nach dem Geschmack der rund 1500 SG Fans. Nach 20 Minuten registrierten sie ein 8:4 für ihre Lieblinge. Damit hatte die SG-Herrlichkeit allerdings ein Ende. Wallau schaukelte die Angelegenheit mit 17:14 nach Hause. Eine knappe Stunde später wich die Trübsal allmählich der guten Laune. Die SG Handballer sangen aus vollen Kehlen. Am Abend flogen die Fetzen auf einer wilden Saisonabschluss-Fete in Handewitt. Vize-Pokalsieger und Bundesliga-Vierter – so gut war die SG noch nie gewesen.

Startschwierigkeiten in der Saison 1994/95
Die europäische Bühne schien ein Traum zu bleiben. Die Saison 1994/95 war zwölf Spieltage alt, als die SG mit einem ausgeglichenen Punktekonto im Mittelfeld zu versinken drohte. Eine kleine Enttäuschung, denn man wollte mehr. Für den eher schwerfälligen Aufgalopp gab es vorwiegend zwei Ursachen: Zum einen plagte sich die SG mit Verletzungen herum, zum anderen mussten auf einigen Positionen neue Spieler eingebaut werden. Am auffälligsten waren diese Veränderungen am Kreis: Dort agierte an Stelle des pfiffigen Horst Wiemann (Kiel) nun ein Kraftpaket namens Matthias Hahn. Gleich zwei neue Gesichter buhlten um die Nachfolge des ebenfalls nach Kiel abgewanderten  Rechtsaußen Michael Menzel: Eigengewächs Ulf Momsen und Stephan Lache (Hameln).

Europäischer Abschied aus der Wikinghalle
Zu Hause blieb die SG eine Macht. Auswärts verbuchte die SG nach sechs vergeblichen Anläufen endlich den ersten Erfolg: ein 23:21 bei Aufsteiger Nettelstedt. Die Rückrunde begann mit einem Paukenschlag. Dank der Wurfkraft von Jan Eiberg Jörgensen stürmte die SG mit einem 24:20 zum ersten Mal die Essener Grugahalle. Allmählich kletterten die Nordlichter in der engen Tabelle nach oben – bis auf Platz zwei. Doch ausgerechnet Jan Eiberg Jörgensen verletzte sich. Eine Zwangspause von mehreren Wochen drohte. Bei der 16:26-Pleite in Niederwürzbach wurde der Linkshänder an allen Ecken und Enden vermisst. Nur vier Tage später fegte eine wie verwandelte SG den TBV Lemgo mit 28:19 aus der Fördehalle. Am 9. April 1995 stieg letztmals ein Bundesliga-Spiel in der Handewitter Wikinghalle, da die SG das Wechselspiel zwischen zwei Spielstätten aus ökonomischen Gründen beendete. Gegen Dormagen gab es ein Feuerwerk. Mit dem 27:19 qualifizierten sich die Nordlichter erstmals für die internationale Bühne betreten. Nach Abpfiff wankte die Polonäse durch die Wikinghalle. Holger Schneider versprach: „Wir holen den Europapokal!“

Folge 5 am Montag: Der doppelte „Vize“