Ein Liga-Urgestein

- Michael Müller im Portrait

Seit anderthalb Dekaden gehört Michael Müller zu den Gesichtern der Bundesliga. Er spielte für fünf verschiedene Vereine. Mit 37 Jahren kommt nun ein sechster Klub hinzu: Die SG Flensburg-Handewitt setzt wegen ihrer Verletzungsmisere bis zum Jahresende auf die Dienste des Linkshänders. Eine Personalie, die keinen Umzug erforderte, da Michael Müller seit einigen Monaten im hohen Norden wohnt.

Zuletzt war er für die Füchse Berlin aktiv. Dort löste der ehemalige Nationalspieler im Mai 2020, inmitten der Corona-Zeiten, seinen Vertrag. Da er und seine Frau Kaja, Tochter von SG Geschäftsführer Dierk Schmäschke, ihr zweites Kind erwarteten, orientierten sie sich in den hohen Norden und landeten im Handewitter Ortsteil Jarplund. In Eigenregie hielt sich der Handball-Profi fit – in der Hoffnung, vielleicht noch ein gutes Angebot zu ergattern. „Aber nur für sieben Wochen irgendwo hin, das will ich mir aus familiären Gründen nicht mehr antun“, sagte er sich. Aus Interesse schaute er sich die ersten Saisonspiele der SG in der FLENS-ARENA an. Ganz entspannt von der Tribüne. „Das war aus dieser Perspektive schon interessant“, schmunzelt Michael Müller. „Da konnte ich mir gar nicht so recht vorstellen, dass man selbst dort auf dem Spielfeld gestanden hatte.“ Ein Einsatz vor der Haustür, für die SG – das erschien unrealistisch. Doch die Verletzungssorgen auf der Linkshänder-Position häuften sich. Magnus Rød fehlte länger, dann auch wieder Franz Semper. Schwiegervater Dierk Schmäschke brachte ein Kurzzeit-Engagement ins Gespräch. Letztendlich war aber ein Anruf von SG Coach Maik Machulla, der die Aufgaben für die nächsten Wochen präzisierte, entscheidend. 

Rückblick auf eine lange Karriere
Bereits am nächsten Tag schnürte sich Michael Müller seine Handballschuhe und traf in der Duburghalle seine neuen Teamkollegen. „Es hatte mich schon lange beeindruckt, welches Niveau und welche Einstellung in dieser Mannschaft steckt“, erzählt der Routinier. Er blickt auf eine lange Karriere zurück. In seiner Jugend war der gebürtige Würzburger wie auch sein Zwillingsbruder Philipp für HaSpo Bayreuth aktiv. Es reichte immerhin für den dritten Platz bei den deutschen A-Jugend-Meisterschaften. 2006 klopfte der TV Großwallstadt an, der zunächst Michael und später Philipp Müller verpflichtete. Schlüsselfigur war sicherlich Trainer Michael Roth. Die Wege sollten sich gleich drei Mal kreuzen. Zunächst in Unterfranken, dann bei der MT Melsungen und zuletzt für wenige Wochen bei den Füchsen Berlin. „Da kann man von einer engen Bindung sprechen“, sagt die SG Aushilfe. „Michael Roth wusste, was er an uns hatte. Und wir wussten, was wir an ihm hatten.“

Zwillingbruder Philipp
Die noch größere Bezugsperson in seiner Sportler-Karriere war natürlich sein Zwillingsbruder. Nach der Jugend und dem Männer-Einstieg in Bayreuth brachten sie es immerhin auf neun gemeinsame Jahre in der Bundesliga. „Ich hätte nie gedacht, dass Philipp und ich so lange zusammenspielen könnten.“ In Großwallstadt sammelten sie die ersten Sporen, mit der HSG Wetzlar sprangen sie von der Abstiegszone ins Mittelfeld, ehe in Melsungen höhere Ansprüche dominierten. Bei den Rhein-Neckar Löwen war Michael Müller allerdings allein und bewegte sich auf dem Weg in der EHF Champions League bis nach Köln. Auch im DHB-Dress nahm er eine nennenswerte Laufbahn und bestritt immerhin 78 Länderspiele. In der Vita des Linkshänders stehen drei Großturniere. Die beste Platzierung glückte bei der Weltmeisterschaft 2009 in Kroatien mit Rang fünf. Sechs Jahre später war es Platz sieben.

Das Heimdebüt in der „Hölle Nord“
Nach einigen Trainingseinheiten und Auswärtsfahrten betrat Michael Müller Ende Oktober erstmals die „Hölle Nord“ im SG Trikot. An selber Stätte hatte er sich schon manch hitziges Duell geliefert und erntete so das eine oder andere Pfeifkonzert von der Tribüne. „Ich bin gar nicht so anders wie die Fans“, sagt er mit einem Grinsen. „Ich gebe immer 100 Prozent für meinen Verein.“ Nach diesen Worten nimmt er sich eine kleine Bedenkzeit und ergänzt: „Vielleicht waren es manchmal auch etwas mehr als 100 Prozent, ich bin eben sehr emotional.“ Manchmal hätten er und sein Bruder sich einige Szenen nochmals angesehen und gedacht: „Was haben wir denn da gemacht?“ Auf und neben dem Spielfeld sind zwei Paar Schuhe, wie der Leistungssportler erklärt. So sei er mit Nationalkeeper Silvio Heinevetter in der Hektik der 60 Minuten mehrmals angeeckt. „Doch als wir beide in Berlin spielten, hatten wir ein gutes Verhältnis“, verrät er. „Selbst mit meinem Bruder hatte ich Stress, als wir gegeneinander spielten. Nach dem Abpfiff war aber immer alles vergessen.“

Ab Januar ein siebter Bundesligist?
Und was ist ab Januar? Wird ein siebter Bundesligist seine Karriere komplettieren? Michael Müller würde sich einem guten Angebot wohl nicht verschließen, eine normale Job-Suche erscheint aber wohl wahrscheinlicher. Gerne würde der Handballer im Sportsektor bleiben. Einst schloss er eine Ausbildung zum Industriekaufmann ab, dann fügte er ein BWL-Studium mit Schwerpunkt Medien-Marketing an. Dabei ging es nicht nur um einen Zeitvertreib neben dem Handball. „Eine Karriere kann schnell vorbei sein“, erklärt er. Zum Glück konnte Michael Müller schweren Verletzungen weitgehend entgehen. So kann er mit 37 Jahren noch einmal einem Top-Klub als „Aushilfe“ dienen.