Ein heißer Frühling

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 2

Um den Spielbetrieb der beiden deutschen Staaten zusammenzuführen, existierte in der Serie 1991/92 eine zweigleisige Bundesliga mit insgesamt 28 Vereinen. Ein Jahr später sollten nur noch 18 Klubs ein einheitliches Handball-Oberhaus bilden. Die jeweils acht ersten Teams in Nord und Süd marschierten durch. Die letzten beiden Plätze wurden in einer Relegation mit zwei Fünfer-Staffeln ermittelt. In einer standen der VfL Bad Schwartau, der ThSV Eisenach, die SG Stuttgart-Scharnhausen, der TSV Dutenhofen und die SG Flensburg-Handewitt.

Die Aufstiegsrunde begann für die SG nicht gut. In Dutenhofen ließ sie sich von einer Manndeckung aus dem Konzept bringen und verlor mit 20:21. Und im nächsten Spiel gerieten die Nordlichter sofort wieder unter Druck, als der VfL Bad Schwartau in der Fördehalle gleich auf 8:3 davonzog. Mehr als ein 23:23-Remis war nicht drin. Bei der SG waren die Nerven angespannt. Das Unentschieden gegen Dutenhofen war ein erneuter Rückschlag. Rainer Cordes hatte den finalen Strafwurf neben den Kasten gesetzt. Die Chancen auf den Aufstieg waren nur noch theoretischer Natur, was eine interne Krise auslöste.

Neue Hoffnung in der Krise
Stein des Anstoßes war die „Zweite“, die gerade die Regionalliga-Meisterschaft gefeiert hatte, deren Zweitliga-Vorstoß mit dem Scheitern der „Ersten“ allerdings verhindert worden wäre. SG-Präsident Hennig Lorenzen, gleichzeitig auch Mannschaftsverantwortlicher der „Zweiten“, setzte sich dafür ein, die bestehende SG in eine Kooperation zu verwandeln. Beide Teams sollten sich als Handewitter SV und TSB Flensburg gemeinsam in der Zweitklassigkeit tummeln. Es wurde lebhaft diskutiert und gestritten, ehe sich am 11. April auf die Fortsetzung der SG geeinigt wurde. Henning Lorenzen trat daraufhin zurück. „Es war eine Entscheidung zugunsten der wirtschaftlichen Vernunft“, sagte er. Die Präsidentenstelle blieb auf Dauer vakant. Kurios: Am selben Abend trennten sich Dutenhofen und Bad Schwartau mit 26:26. Genau das Ergebnis, das die sehr vagen Aufstiegsträume in realistische Hoffnungen verwandelte.

Die Wende von Lübeck
Es ging ein Ruck durch das Team. Als nächster Schritt war ein Sieg in der Lübecker Hansehalle unbedingt erforderlich. Der VfL Bad Schwartau sah sich mit dem Heimvorteil als Favorit und orderte bereits eine Großraum-Disco für eine Bundesliga-Party. Die SG war an diesem Tag nicht zu entmutigen. Knut-Arne Iversen schloss einen Kempa-Trick zum 21:21 ab. Und letztendlich schlug der letzte Wurf von Rainer Cordes mit voller Wucht im VfL-Gehäuse ein. Spieler und mitgereiste Fans feierten den überraschenden Sieg überschwänglich. Nur einer wollte sich an den Freudentänzen nicht beteiligen: Noka Serdarusic. „Unsere Chancen sind doch nur von zehn auf 50 Prozent gestiegen“, läutete der Trainer das Fernduell mit Dutenhofen ein. Beide Teams hatten vier Miese; es ging um jeden Treffer.

Die Sause von Stuttgart
Am 22. April 1992 lauschten die Menschen in unzähligen Wohnzimmern und Kneipen der Live-Übertragung im Radio. Mit jeder Einblendung sah es günstiger für die SG aus, die in Stuttgart mit vier Treffern gewinnen musste. Bereits nach 20 Minuten, beim 9:5, hatte die SG erstmals das Tor zur Bundesliga geöffnet. Es sollte sich nicht mehr schließen. Mit dem abschließenden 31:23 in Stuttgart machte die SG den Aufstieg perfekt. Gleich nach dem Spiel feierte die Mannschaft ihren Erfolg mit Sekt. Wenig später stieg in der Böblinger Disco „Die Pille“ eine spontane Aufstiegsfeier. Übermüdet ging es am nächsten Morgen mit dem Flieger nach Hamburg. Als die SG-Spieler am Vormittag in Handewitt eintrafen, wurden sie von einigen Fans mit Schlachtrufen empfangen: „Nie mehr zweite Liga, nie mehr!“ Wenig später setzte sich ein Auto-Corso gen Südermarkt in Bewegung. Dort warteten rund 1000 Menschen.

Der Pokal-Coup
Es gab noch einen „Bonbon“. Im DHB-Pokal marschierte die SG von Runde zu Runde. Das Halbfinale gegen den damaligen Angstgegner TuRU Düsseldorf mutierte zum Klassiker. Die 60 Minuten brachten keine Entscheidung, die erste Verlängerung nicht und auch nicht die zweite. Ein Siebenmeterwerfen rief. Die Zuschauer senkten bange ihre Köpfe: Hatte die SG an diesem Abend nicht schon vier Strafwürfe ausgelassen? Doch plötzlich zappelten die Bälle alle im Netz. Als Torwart Thomas Buchloh einen Siebenmeter parierte, hatte Frank Tuitjer als letzter Schütze alles in der Hand. Er behielt die Nerven und zog den Ball ins untere linke Eck. Der Jubel kannte keine Grenzen. Eine begeisterte Menschenmenge füllte blitzschnell das Spielfeld.

Nur ein Siebenmeter fehlte
Als Gegner für die beiden Endspiele schälte sich Cupverteidiger TUSEM Essen heraus. Das erste Finale stieg am 17. Mai 1992 in der Handewitter Wikinghalle. Die SG war die spielerisch bessere Mannschaft, musste sich aber knapp mit 19:20 beugen. Was niemand für möglich hielt: Auch eine Woche später, vor 6000 Zuschauern in der ausverkauften Essener Grugahalle, bot die SG dem Favoriten viel Gegenwehr. Schließlich traf Frank Tuitjer 50 Sekunden vor Schluss zum 19:20. Die SG hatte das Hinspiel-Resultat exakt egalisiert. Alle Beteiligten richteten sich auf eine Verlängerung ein, aber die DHB-Statuten schrieben einen anderen Schlussakkord dieses Pokal-Klassikers vor: Siebenmeterwerfen. Den sechsten Strafwurf für die SG sollte Horst Wiemann verwandeln. Er tat es nicht und sackte enttäuscht zusammen. Nur Pfosten – der Traum von der Pokal-Sensation war geplatzt. Die Enttäuschung wich bald. Denn nach einem heißen Frühling war das wichtigste Ziel erreicht: der Bundesliga-Aufstieg.

Folge 3 am Mittwoch: Ein „Lucky Loser“