„Diese Mannschaft kann noch mehr“

- Das Interview der Woche: Aleš Pajović

Am 5. Februar leitete Aleš Pajović zum ersten Mal das erste Training bei der SG Flensburg-Handewitt. 109 Tage später hatte der Coach den ersten Pokal in der Hand. Wenige Tage später steht die Trophäe der EHF European League in der SG Geschäftsstelle, während Aleš Pajović mit der Video-Analyse für das nächste Spiel beschäftigt ist. Der 46-kährige Slowene findet Zeit für ein Interview.

Aleš Pajović, wie fühlt man sich als Sieger der EHF European League? Was überwiegt: Stolz, Erleichterung oder Freude?
Aleš Pajović: Alles zusammen, würde ich sagen. Es hat zwei Tage gedauert, bis sich die erste Euphorie gesetzt hat und man begriff, was die EHF European League bedeutet. Es handelt sich um einen großen Titel. Und für mich ist es eine besondere Ehre, dass ich so schnell etwas gewinnen konnte. Die Mannschaft war an beiden Tagen so stark, dass sie die Einschätzungen von vor der Saison bestätigen konnte: Sie war ein Kandidat für den Sieg in der EHF European League und auch in der Meisterschaft. Sie hat in Hamburg alles gegeben und viel investiert. Bei den taktischen Vorgaben hatte ich ab der ersten Minute gespürt, dass die Spieler voll fokussiert waren und Charakter und Willen zeigten.

Wie kannst du dir im Nachhinein erklären, dass die Mannschaft am zweiten Tag von Hamburg noch so viel Energie hatte? Montpellier HB hatte ja im Endspiel keine Chance.
Aleš Pajović: Das Halbfinale war von der Intensität her schon ein Endspiel – und dann noch die Verlängerung. Da war nicht viel Zeit zur Regeneration, aber wir ließen die Spieler am Sonntag etwas länger schlafen. Die Physiotherapeuten machten einen großartigen Job. Motiviert waren alle, das Endspiel machte Beine. Wir Trainer hatten uns schon vorher auf beide möglichen Final-Gegner vorbereitet. Als dann um 20 Uhr klar war, dass es Montpellier werden würde, machten wir noch am Abend einen ersten Spielplan und schlossen die Video-Analyse ab. Am nächsten Vormittag führten wir hauptsächlich Gespräche in Kleingruppen. Für die Offensive hatte ich mit Mads Mensah und Jim Gottfridsson eine gute Zusammenarbeit, für die Abwehr waren alle drei Kreisläufer involviert. Es lief von Anfang an gut. Dazu kam die Kulisse: Unsere Fans haben beide Tage zu Heimspielen gemacht. Nach 40 Minuten sah ich in den Augen der Spieler von Montpellier, dass sie sich aufgegeben hatten.

War dir bewusst, dass die SG in der kommenden Saison vielleicht nicht auf der europäischen Bühne spielen würde, wenn Montpellier den „Pott“ geholt hätte?
Aleš Pajović: In der Woche vor dem Final Four ging einem diese Möglichkeit schon durch den Kopf. Die Heimniederlage gegen die Rhein-Neckar Löwen tat weh. Man dachte, es könnte mit der erneuten Teilnahme an der EHF European League nichts werden. Diese Gedanken waren schwer zu akzeptieren. In Hamburg gab es dann so viel Input, dass man sich zunächst nur mit dem Halbfinale und dann mit dem Endspiel beschäftigen konnte.

Was wird vom Wochenende in Hamburg langfristig in Erinnerung bleiben?
Aleš Pajović: Die Ansprache vor dem Finale in der Kabine. Da standen wir alle zusammen, da war so viel Teamgeist zu spüren. Oder als Kevin Møller nach dem Halbfinale beim Blick zur Familie und zu den Fans seine Hand aufs Herz legte. Dieses Herz zeigten alle auf dem Spielfeld. Oder als man kurz vor dem Anpfiff in der Arena stand und die Armbänder der Zuschauer leuchteten. Besonders war auch der Moment auf dem Siegerpodest, als man den Pokal in der Hand hatte und dann gemeinsam gefeiert wurde. Es war ein überwältigender Eindruck, als wir am späten Sonntagabend mit dem Bus an der Halle ankamen und noch so viele Menschen auf uns warteten. Da wurde mir klar, dass dieser Verein eine große Familie ist.

Werden wir allgemeiner: Wie bewertest du diese Saison aus Sicht der SG?
Aleš Pajović: Es war sehr wichtig, dass wir einen Titel geholt haben. So konnten wir die Saison retten. Wir hatten zu viele Auf und Abs – auch nachdem ich das Training übernommen hatte. In Göppingen, gegen Eisenach, in Lemgo, gegen die Rhein-Neckar Löwen und in Bietigheim ließen wir sieben Punkte liegen. Ich habe öfter gedacht, wo wir gelandet wären, wenn wir diese sieben Punkte nicht verloren hätten. Mit unserer Platzierung sind wir nicht zufrieden. Die Mannschaft hat in Hamburg gezeigt, dass sie mehr kann.

Was muss sich in der kommenden Saison ändern, um in der DAIKIN HBL noch erfolgreicher zu werden?
Aleš Pajović: Das System ist vorhanden, da muss gar nicht viel geändert werden. Es wird hauptsächlich darum gehen, eine noch größere Konstanz zu erreichen. Im Frühling hatten wir starke Auftritte gegen Melsungen und Kiel, das Niveau konnten wir aber nicht halten. Das Final Four mit den beiden Siegen zeigte, dass es in die richtige Richtung geht und die Meisterschaft mit diesem Team möglich ist. Die Mannschaft muss mental gegen jeden Gegner voll da sein.

Wann beginnt die Vorbereitung auf die neue Saison und wie wirst du die Schwerpunkte setzen?
Aleš Pajović: Wir fangen am 20. Juli wieder an. Zunächst geht es hauptsächlich um die Athletik. Wenn dann die Testspiele kommen, kann ich viel ausprobieren. Wir haben einige Neuzugänge zu integrieren, darunter mit Luca Witzke sogar einen Spielmacher. Wir wollen unsere kompakte 6:0-Abwehr optimieren und eine zweite Deckungsvariante einstudieren. Am wichtigsten ist mir der Teamspirit. Alle im Team müssen immer wissen: Wir sind Flensburg! 

Bist du traurig, dass du nicht mehr österreichischer Nationaltrainer bist?
Aleš Pajović: Ja, ein bisschen bin ich es. Es waren unglaubliche sechs Jahre. Wir haben viel erreicht und hatten immer Spaß bei den Lehrgängen. Mit dieser Doppelbelastung wäre es auf Dauer aber zu viel des Guten geworden. So kann ich mich hundertprozentig auf die SG konzentrieren. Es war alles andere als selbstverständlich, dass mich ein Top-Verein verpflichten würde. Normalerweise liegen ein paar Schritte dazwischen.

Werden wir vielleicht bald wieder einen österreichischen Spieler bei der SG begrüßen? Bislang gab es erst zwei, nämlich Viktor Szilagyi und Boris Zivkovic.
Aleš Pajović: Ich wusste gar nicht, dass Viktor Szilagyi auch mal in Flensburg war. Zur Frage: Die Mannschaft für die nächste Saison ist fix, ich kriege keinen Österreicher dazu. Dafür aber einen Slowenen, unsere slowenische Fraktion wird größer. Vielleicht kommt ja auch mal ein Österreicher. Es ist wahrscheinlicher geworden, da Österreich bei Welt- und Europameisterschaften kein Außenseiter mehr ist.

Du kommst ja aus Celje, der slowenischen Handballhauptstadt. Die dortige Nachwuchsarbeit gilt als sehr gut. Kann man sich etwas für die SG Talentförderung abschauen?
Aleš Pajović: Celje hatte immer eine gute Handballschule und bekam über die A-Jugend häufiger Spieler, die in der EHF Champions League reiften und für andere Klubs in Europa interessant wurden. Im Moment gibt es aber finanzielle Probleme. Selbst in Slowenien ist Celje nur noch die Nummer drei. Für meine Trainer-Lizenz hatte ich mal einen Lehrgang in der Füchse-Town mit sehr guten Eindrücken von der deutschen Nachwuchsarbeit. In Deutschland ist der Übergang von der Jugend zu einem Top-Klub eigentlich nicht möglich, da das Niveau zu unterschiedlich ist. Da braucht es für die jungen Spieler Zwischenschritte. Die SG hat gute Kooperationsvereine gewonnen. Den gesamten Nachwuchsbereich werde ich in der kommenden Saison genauer verfolgen.