Die SG schreibt Geschichte

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 6

Am 7. Oktober 1995 begann im nördlichen Schleswig-Holstein eine neue Zeitrechnung. Erstmals bestritt ein Handball-Team aus dem Flensburger Raum eine Partie in einem europäischen Wettbewerb. SKAF Minsk hatte das Heimrecht abgetreten, sodass die SG zunächst in der Fördehalle, dann in der Wikinghalle spielte und zwei glatte Siege einfuhr.

Im Achtelfinale registrierte der Bundesligist ein Traumlos: Kolding IF. Die Fans pilgerten zu Hunderten in die dänische Nachbarschaft und freuten sich, als die SG von 8:8 auf 19:12 davoneilte. Die Vorentscheidung! Vor dem Viertelfinale gegen ASKI Ankara brodelte die Gerüchteküche. Einen Heidenrespekt hatte der SG Clan vor der riesigen Atatürk-Halle. Doch dann war bereits nach dem Hinspiel auf heimischem Parkett alles gelaufen: 40:17! In der Türkei musste der Handball einer Trauerfeier weichen und zog in eine kleine Schulsporthalle um.

Die Pleite von Granollers
Im Halbfinale wartete mit BM Granollers wirklich eine harte Nuss, zumal Trainer Anders Dahl-Nielsen einen „Grand ohne Vier“ riskieren musste: Andreas Bulei, Frank Schäfer, Andreas Mau und Rainer Cordes laborierten an Verletzungen. Der spanische Vertreter machte der SG schon in der Fördehalle schwer zu schaffen, aber die Hausherren errangen ein 26:21. Würde dieser Vorsprung reichen? Am 27. März 1996 ertönte in der Olympiahalle von Granollers der Anpfiff zum Rückspiel. Etliche SG Fans hatten die weite Reise voller Optimismus angetreten: Die SG meldete Bestbesetzung. Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich die Mienen auf der Gästebank verfinsterten. Bereits nach 19 Minuten war das Fünf-Tore-Polster aufgebraucht. Zur Pause hieß es 14:6 für den Gastgeber. An der 17:25-Niederlage gab es nichts zu deuteln. „Bis zur europäischen Spitze ist es noch ein weiter Weg“, kommentierte Manager Manfred Werner frustriert.

Ein neuer Anlauf
In der Saison 1996/97 durfte die SG einen zweiten Anlauf nehmen. Als deutscher Vize-Meister qualifizierte sie sich erneut für den EHF-Cup, der mit klaren Erfolgen gegen Kadetten Schaffhausen, Banik Karvina und Gorenje Velenje alles andere als spektakulär begann. Das Halbfinale bescherte der SG ein Wiedersehen mit BM Granollers. „Wir sind spielerisch reifer als im vergangenen Jahr“, glaubte Anders Dahl-Nielsen. Doch die Generalprobe in Magdeburg endete mit einem 18:29-Debakel. Zu allem Überfluss verletzte sich Matthias Hahn so schwer am Knie, dass an einen Einsatz in Spanien nicht zu denken war. Vier Tage später die Überraschung: Matthias Hahn war mit von der Partie und sorgte für emotionalen Rückenwind, der zu einem 25:23-Auswärtscoup bei BM Granollers führte. Trotz dieser hervorragenden Ausgangsbasis musste die SG im Rückspiel nochmals Schwerstarbeit verrichten. Jan Holpert verhinderte mehrmals den Ausgleich. Dann war es vollbracht: Erstmals stand die SG in einem Europapokal-Finale. Kapitän Holger Schneider gierte nach mehr: „Ich spiele jetzt fast 15 Jahre in der ersten Liga, habe aber noch nie einen Titel gewonnen.“

Die Niederlage von Bröndby
Der Gegner kam aus Dänemark: Virum Sorgenfri. Das erste Finale stieg in Kopenhagen. Unter den 3800 Zuschauern in der Bröndby-Halle mischten sich 1000 SG Schlachtenbummler, die sorgenvoll auf das Geschehen blickten. Ihre Lieblinge verpatzten den Start, während Virum Sorgenfri einen herrlichen Kombinationshandball zeigte und nach zwölf Minuten mit 8:2 führte. Es war einmal mehr Jan Holpert, der mit zwei gehaltenen Bällen das Signal zur Aufholjagd gab. Jan Fegter hatte mit vier Toren maßgeblichen Anteil, dass die SG bis zur Pause auf 12:15 verkürzte. Erst jetzt wurde der überragende Virum-Shooter Klavs Bruun Jörgensen in Manndeckung genommen. Die SG gestaltete den zweiten Durchgang wesentlich offener und machte sich mit einem 22:25 auf den Heimweg.

Ein historisches Datum
Am 19. April 1997 war die Fördehalle restlos ausverkauft. Unzählige Fans drängten sich vor einer Großleinwand am Deutschen Haus. Und was sahen sie? Vereinsgeschichte. Jan Holpert, Andreas Bulei, Roger Kjendalen, Jan Fegter, Ulf Momsen, Lars Christiansen, Matthias Hahn, Christian Hjermind, Andreas Mau, Peter Leidreiter, Holger Schneider und Jan Eiberg Jörgensen sorgten dafür, dass sich die SG erstmals in die Siegerliste des EHF-Pokals eintragen durfte. Das, was sich in der Fördehalle abspielte, ließ sich auf einen Nenner bringen: Handball-Zauber, bei dem die dänischen Gäste nie über die Rolle irgendwelcher Statisten hinauskamen. Die SG baute ihren Vorsprung immer weiter aus, bis schließlich ein 30:17 auf der Anzeigetafel leuchtete. Längst hatten sich die Zuschauer von ihren Sitzen erhoben, um sich bei ihren Helden zu bedanken: „Oh, wie ist das schön...“ Bis in die frühen Morgenstunden hinein genossen Spieler und Fans den Triumph auf dem Berliner Platz und im Deutschen Haus. Eine ganze Region lag im blau-weißen Freudentaumel. Anders Dahl-Nielsen formulierte es kurz und knackig: „Wenn man einen Titel gewinnt, dann schreibt man Geschichte.“

Folge 7 am Freitag: Ein internationales Landesderby