Das Ende des „Ewigen Zweiten“

- 30 Jahre SG Flensburg-Handewitt, Folge 12

Drei Europapokale standen bereits in der Vereinsvitrine der SG Flensburg-Handewitt. Nur mit einem nationalen Titel wollte es nicht klappen. Die Konkurrenz sprach spöttisch vom „Ewigen Zweiten“. Das nagte am Gemüt der Mannschaft und der Funktionäre. Für das letzte Quäntchen, da war man sich an der Förde sicher, müsse nur an einigen Stellschrauben gedreht werden.

Eine erste Maßnahme im Juli 2002: Der 37-jährige Thorsten Storm, bis dahin Marketingleiter des THW Kiel, wurde zum Geschäftsführer ernannt, gleichberechtigt mit Dierk Schmäschke. Manfred Werner verließ die operative Ebene und agierte fortan als Gesellschafter. Zuvor schloss er aber noch die Verhandlungen mit dem polnischen Meister Plock ab: Neuzugang Marcin Lijewski brachte das Gerede um ein „Linkshänder-Problem“ schnell zum Schweigen. Eine größere Medien-Präsenz, professionellere Abläufe und weitere Sponsoren – so lauteten die Vorgaben für Thorsten Storm. Er feilte am SG Image und an der Selbstwahrnehmung. Er wollte die Rolle des Underdogs mit der eines forschen Herausforderers tauschen. „Wenn es normal läuft, können nur wir Meister werden“, sagte Kapitän Jan Fegter. Aber schon am zweiten Spieltag erwischte es die SG: eine 26:32-Schlappe in Magdeburg.

Personalien nach Rückschlägen
Kurze Zeit später sprang der Motor an. Der Kader zeigte sich als eingespielte Einheit. Meisterschaft – ein Wort, das im Herbst 2002 immer häufiger genannt wurde. Nur der TBV Lemgo versperrte den Marsch an die Bundesliga-Spitze. Mitten in diese Erfolgsserie platzte der EHF-Cup. Im Europapokal-Heimspiel Nummer 36 kassierte die SG ihre erste Niederlage und schied frühzeitig aus. Ruhe nach außen, Nervosität nach innen – eine komplexe Atmosphäre prägte die nächsten Tage. Ein Novum stand bevor: Zur Auswärtspartie beim HSV Hamburg reisten allein 800 der insgesamt 2000 SG Schlachtenbummler mit einem Sonderzug an. Ein „Event auf Schienen“, das der sportliche Misserfolg ein wenig vermasselte. Mit einem unerwarteten 30:26 zerstörten die Hanseaten die imposante SG Serie von elf Bundesliga-Siegen. Danach brannte der Baum. Personal-Entscheidungen sorgten für etliche Diskussionen. Jan Fegter erhielt keinen neuen Vertrag mehr, musste im Sommer gehen. Ausgerechnet der Kapitän. Auch für Erik Veje Rasmussen war klar, dass seine Zeit bei der SG im Sommer 2003 enden würde.

Der erste Sieg in Kiel
Noch aber hatte Erik Veje Rasmussen die Fäden in der Hand und träumte vom Bundesliga-Thron. Vier Punkte vorweg marschierte der ungeschlagene TBV Lemgo. Eine Video-Analyse von der ostwestfälischen Pokal-Pleite gegen Kiel steigerte die Zuversicht. „Es hat sich ausgezaubert“, frohlockte der Coach. „Wir werden nicht die weiße Flagge mitnehmen – wie so viele Mannschaften, die 40 und mehr Gegentreffer kassiert haben.“ Es reichte nicht. Zwar wehrte sich die SG achtbar gegen die gefürchtete „schnelle Mitte“ der „Unbesiegbaren“ aus Lemgo, verpasste nach dem Seitenwechsel aber den Anschluss. Mit dem 31:35 wuchs der Rückstand zur Spitze auf sechs Punkte.
Mit Beginn der Rückrunde tat sich Historisches. Am 24. Februar 2003 verkündeten Fans im Internet: „Die Nummer eins im Handball-Norden ist jetzt die SG!“ Mit 33:32 hatte sie wenige Minuten zuvor beim THW Kiel gewonnen. Erstmals überhaupt entführte der „kleine Bruder“ zwei Zähler aus der gefürchteten Ostseehalle. Gerade an der Rückraumachse mit Lars Krogh Jeppesen, Joachim Boldsen und Marcin Lijewski prallten jegliche Zweifel ab.

Der 13. April 2003
Der fünfte „Vize“ seit 1996 nahm immer mehr Konturen an. Diesmal war der zweite Platz allerdings mit der Teilnahme an der Champions League veredelt. Die EHF hatte die europäische Königsklasse reformiert und gewährte den stärksten Verbänden drei Startplätze. Der DHB-Pokal rückte immer stärker in den Fokus. Der 13. April 2003 wurde ein historisches Datum für die SG. Die Hallenuhr in der Hamburger Color-Line-Arena zeigte nur noch wenige Sekunden an, als TUSEM Essen nach Turbulenzen am Kreis den Ball verlor. Jan Holpert passte mit einem kurzen Abwurf in den Lauf von Lars Christiansen. Der startete durch, und drei Sekunden vor dem Schluss zappelte das runde Leder im Netz. 31:30 – die SG hatte den DHB-Pokal im Sack. Der erste große nationale Titel! „Darauf habe ich sieben Jahre lang gewartet“, strahlte Matchwinner Lars Christiansen. Der Linksaußen rannte nach seinem Siegtreffer in seiner spontanen Freude über das gesamte Spielfeld, ließ sich von Ersatztorwart Frode Scheie einfangen und hochleben – und löste eine Jubel-Orgie aus, die die rund 4000 mitgereisten Fans erfasste. Drei Stunden nach dem historischen Abpfiff fuhr der Mannschaftsbus durch einen Party-Orkan. Im Übermut zerschnitten die Spieler ihre Anzüge, verwandelten ihre Krawatten in Stirnbänder und „kaperten“ eine Tankstelle. Diese Euphorie nahmen die „Helden von Hamburg“ mit in das Deutsche Haus. Dort jubelten rund 2000 Anhänger der „Räuberbande“ zu.

Ein kleiner Eklat
In den nächsten Tagen zollte auch die lokale Politik den SG-Handballern höchste Anerkennung. „Spielstätte des Deutschen Pokalsiegers 2003“, leuchtete nun auf der Westfront der Campushalle. Zusätzlich organisierte die Stadt Flensburg eine offizielle Feierstunde, in deren Verlauf sich Spieler, Betreuer und Funktionäre in das Goldene Buch der Stadt eintrugen. Diese besondere Ehre flankierte Gesellschafter Frerich Eilts mit einem markigen Spruch: „Die Bezeichnung ewiger Zweiter trifft nicht mehr zu, deshalb trifft sie uns auch nicht mehr.“ Mit 40:32 deklassierte die SG am vorletzten Spieltag den TBV Lemgo. Eigentlich ein schöner Rahmen, um Jan Fegter, Jörg Kunze, Frode Scheie, Erik Veje Rasmussen und Dierk Schmäschke zu verabschieden. Mit der Pressekonferenz hatte allerdings niemand gerechnet. Erik Veje Rasmussen nutzte sie als Plattform, um mit Thorsten Storm abzurechnen. Ein reinigendes Gespräch zwischen den beiden Kontrahenten war schließlich die Grundlage für einen halbwegs normalen Saisonabschluss. In Essen präsentierte sich die SG Bank wieder in der üblichen Besetzung.

Folge 13 am Freitag: „Geht doch!“