„Bin Handballer und kein Reha-Spieler“

- Gøran Søgard: Das Interview der Woche

Lange musste sich Gøran Søgard gedulden. Er hat keine schwere, aber eine langwierige Verletzung, die Zeit erfordert. Ende November spielte er wieder für die SG Flensburg-Handewitt. Die Redaktion traf sich mit dem 27-jährigen Norweger und sprach mit ihm über die letzten Monate und den Handball in seiner Heimat.

Gøran, es war zu hören, dass du im Sommer viel unterwegs warst und viele Ärzte aufgesucht hast…
Gøran Søgard: Ja, ich war in Norwegen und in Flensburg bei den jeweiligen Teamärzten. Zwei MRT-Untersuchungen ergaben, dass eine Operation nicht zwingend notwendig war und ich konservativ behandelt werden kann. Ich war auch nach Berlin und München zu zwei Spezialisten gereist. Alle wollten sich sicher sein, dass die richtige Entscheidung getroffen wird.

Was war genau passiert?
Gøran Søgard: Ich hatte schon länger Probleme an den Adduktoren. Ende der letzten Saison wurde die Belastung immer größer, weil unsere Mannschaft immer kleiner wurde. Es war ein Domino-Effekt. Mit jedem Spieler, der wegfällt, wird die Belastung für die anderen und damit auch das Verletzungsrisiko größer. Ich wollte natürlich unbedingt helfen, wir konnten ja Meister werden. Ende Juni ging es allerdings nicht mehr. Ich legte eine mehrwöchige Pause ein, während die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele begann. Ich reiste mit in das norwegische Trainingscamp. Mit Nationaltrainer Christian Berge hatte ich abgesprochen, dass wir es in einem Test gegen Schweden versuchen würden. Es ging nicht. Am nächsten Tag flog meine Mannschaft weiter nach Tokio – und ich zurück nach Norwegen. Dort stellte man einen Anriss an einem Adduktor fest.

Es war sicherlich ein Schock für dich, statt auf den norwegischen Olympia-Zug zu springen, dich mit einer komplexeren Verletzung zu beschäftigen.
Gøran Søgard: Die Olympischen Spiele sind für jeden Handballer, ja Sportler, das Größte. Sie finden nur alle vier Jahre statt, und nur zwölf Teams können teilnehmen. So war Tokio zunächst für 2020 mein großes Ziel und nach der Verlegung natürlich auch 2021. Als ich dann nach Norwegen zurückkehrte, wollte ich nichts von Tokio sehen und hören. Ich verbrachte die Zeit mit meiner Familie. Es passte, dass ich wegen der Verletzung ohnehin ein bis zwei Wochen eine Pause einlegen musste. Ich brauchte Abstand. Als ich wieder nach Flensburg kam, ging mein Blick nach vorne. Seitdem kämpfe ich mich zurück.

Das klingt nach einer echten Geduldsprobe.
Gøran Søgard: Monate musste ich mich mit eher langweiligen Übungen beschäftigen. Ich bin Handballer und kein Reha-Spieler. Neun bis elf Einheiten waren es pro Woche. Besonders hart war es im Oktober. Während meine Teamkollegen ständig zu Auswärtsspielen unterwegs waren, musste ich weiter mein Programm in Flensburg absolvieren. Dabei sah ich nur Lasse Møller, mit dem ich mich häufig zu den Reha-Aufgaben traf. Eigentlich ist es keine schlimme Verletzung, da sie mich im Alltag nicht einschränkt. Allerdings ist es schwer abzuschätzen, wann ich wieder Handball ohne Schmerzen spielen kann. Die Ungewissheit macht es so schwer. Bei einem Bruch der Finger oder der Nase lässt sich wesentlich präziser sagen, wie lange man ausfällt.

Konntest du die unverhofft erhaltene Freizeit für Hobbys nutzen?
Gøran Søgard: Ich bin viel mit meinem Studium beschäftigt, was eine sehr gute Abwechslung für meinen Kopf ist. Ich studiere auf Lehramt. Für Geschichte habe ich die meisten Scheine in der Tasche, nun kümmere ich mich hauptsächlich um Norwegisch. Ich mag Literatur und deren Interpretation.

Hast du dir die Spiele deiner Mannschaft immer angeschaut?
Gøran Søgard: Bei den Heimspielen sind wir verletzten Spieler stets in der Halle. Wir saßen die ersten Wochen hinter der Bank, zuletzt waren die Plätze wieder an die Zuschauer vergeben, sodass wir uns in den Einlauftunnel verdrückten. Die Auswärtsspiele streamte ich. Ich mag gerne Handball schauen, aber nicht die Auftritte der eigenen Mannschaft. Ich bin dann total nervös – und hilflos, da ich nicht eingreifen kann. Ganz schlimm war es im Oktober, als die Mannschaft eine schwere Phase durchstehen musste. Jetzt sieht es zum Glück schon wieder besser aus.

Wie war es Anfang November, als du bei der Nationalmannschaft in Trondheim warst?
Gøran Søgard: Ich freue mich immer, wenn ich nach Norwegen komme. Im Grunde machte ich nichts anderes als in Flensburg: Reha-Übungen und Behandlungen bei den Physiotherapeuten. Leider waren die Corona-Zahlen in Trondheim sehr hoch, sodass ich niemanden außerhalb der Mannschaft treffen konnte. Aber es war schön, die anderen Nationalspieler zu sehen, zum Beispiel Torbjørn Bergerud. Mit ihm teilte ich bei den Auswärtstouren mit der SG immer das Hotelzimmer, nun lebt diese Tradition im Nationalteam fort.

Im norwegischen Vereinshandball tut sich etwas. Kolstad hat einige Akteure verpflichtet und möchte hoch hinaus. Ist es für dich auch ein Traum, irgendwann für einen norwegischen Top-Klub zu spielen, oder suchst du lieber in der stärksten Liga der Welt, in der LIQUI MOLY HBL, die Herausforderung?
Gøran Søgard: Ich kann mir gut vorstellen, irgendwann in Norwegen zu spielen. Irgendwann. Die HBL bleibt stärker und ist viel ausgeglichener. Aber es ist gut für den norwegischen Handball, dass sich etwas tut. Seit das Nationalteam bei der EM 2016 Vierter wurde, ist das Interesse seitens der Öffentlichkeit und der Wirtschaft gestiegen. Mit Kolstad gibt es nun einen Verein aus Trondheim, der schnell nach oben will. Bei Elverum funktionierte es in der Vergangenheit eher schrittweise, die spielen inzwischen aber kontinuierlich in der EHF Champions League. Gegen den THW Kiel zieht Elverum zum dritten Mal nach Lillehammer um und will einen neuen norwegischen Zuschauer-Rekord aufstellen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Kolstad und Elverum gegenseitig puschen und vielleicht auch andere Klubs mitziehen. 2030 könnte eine richtig starke norwegische Liga existieren.