Auswärtsfahrt zum Derby

- Zuspiel von Astrid Jöhnck

Auswärtsfahrten mit der SG Flensburg-Handewitt sind immer etwas Besonderes, auch wenn sich im Laufe der Jahre gewisse Routinen entwickelt haben. Manchmal ist trotzdem alles „noch besonderer“ und dann weiß man: Es ist Derbyzeit!

Nicht nur auf dem Parkett, sondern auch auf der Tribüne löst ein Derby besondere Emotionen und ein besonderes Kribbeln aus. Am vergangenen Donnerstag waren mehr als 200 SG Fans in der Kieler Ostseehalle, pardon Sparkassenarena, dabei, um Maik und seine Männer im 101. Landesderby zu unterstützen. Sicherlich ist das Spiel in der Landeshauptstadt die Partie mit den meisten Flensburger Auswärtsfans, mal abgesehen von den Pokalfinalturnieren in Hamburg und Köln. Die rund 85 km Anreise ermöglichen auch den SG Anhängern mit ungünstigen Arbeitszeiten oder einer Phobie vor längeren Auto-/Busreisen eine Teilnahme an einer Auswärtstour und viele nehmen diese Möglichkeit gern wahr, auch wenn die Platzierung direkt unter dem Hallendach und mit Sichtbehinderung durch einen Pfeiler nicht die besten Voraussetzungen sind.

Beim Fanclub „Die Wikinger“ hatte man in der vergangenen Saison die „Schuld“ an der Niederlage beim Nordrivalen am fehlenden Hefezopf vor dem Spiel ausgemacht, der sonst bei jeder Auswärtsfahrt dabei ist. Da Zopfbäckerin Lydia dichter an Kiel als an Flensburg wohnt, lohnt sich für sie keine Anreise per Bus zu diesem Spiel und so hatte sie bislang auf das Backwerk beim Derby verzichtet. Aberglaube und Rituale versetzen aber manchmal Berge und so wurde in diesem Jahr kurzerhand vor dem Spiel neben dem SG Mannschaftsbus der frisch gebackene Zopf verspeist – bekanntlich leider ohne den gewünschten Erfolg. Manchmal hilft eben auch das beste Ritual nichts.

Wenn man auf die Derbies vergangener Jahre und Jahrzehnte blickt, so kann man feststellen, dass mittlerweile der Respekt bei den Kielern gegenüber dem vermeintlich kleinen Bruder von der anderen Förde deutlich gewachsen ist. Die SG ist kein Gegner mehr, der einfach mal so im Vorbeigehen besiegt wird und wenn man heute – zwei Tage nach dem Spiel – die Kieler Presse liest, dann erkennt man deutlich die sehr große Erleichterung im THW-Lager über den Prestigesieg. Auch unter den Fans nimmt man zunehmend gegenseitigen Respekt wahr, es ist nicht mehr viel geblieben von dem teils offen ausgelebten Hass – und das ist sehr, sehr gut so.

 

Auch wenn das Spiel leider über weite Strecken nicht im Sinne der SG Anhänger verlief, wurde die Mannschaft über 60 Minuten konsequent unterstützt und nach Abpfiff hallten noch lange „Deutscher Handballmeister – SG W!“ Rufe durch das Rund des ehemaligen Flugzeughangars. Als sich die Mannschaft nach Wiederbeginn vom 18:13 auf 18:18 herangekämpft hatte, fiel etwas markant ins Auge bzw. Ohr: Während bei SG Heimspielen die Stimmung gerade dann nach oben geht, wenn es für das eigene Team nicht so gut läuft (zuletzt positiv angemerkt von HC Erlangen-Trainer Aðalsteinn Eyjolfssón), wurde das Kieler Publikum in diesen Minuten immer leiser. Ein Phänomen, das im Nachgang auch ein Kieler Fan bestätigte: „Ihr habt das bessere Gespür dafür, wann die Mannschaft euch braucht. Man könnte euch fast darum beneiden.“ Der Respekt war deutlich herauszuhören. Überhaupt ist es schön zu sehen, wie viele Gespräche mittlerweile zwischen den Anhängern beider Vereine vor und nach dem Spiel stattfinden. Sicherlich nicht jedermanns Sache, muss es ja auch nicht sein. Aber wenn Freunde oder Arbeitskollegen, die zwei verschiedene Handballvereine unterstützen, gemeinsam zum Spiel gehen oder aber auch Wildfremde in blau-weiß-rot und schwarz-weiß übereinstimmend feststellen, dass wir in Schleswig-Holstein durchaus stolz darauf sein können, in (Handball-)Deutschland Spitze zu sein, dann hat das durchaus Charme.

Wie bei Auswärtsspielen üblich versammelten sich nach dem Abpfiff zahlreiche Fans am Mannschaftsbus, gemeinsam wurde in vielen Gesprächen die Partie analysiert und letztlich auch ein wenig Frustbewältigung betrieben. Als die Mannschaft aus der Halle kam, gab es aufmunternde Schulterklopfer und positive Worte. Es wird immer wieder von der „SG Familie“ gesprochen: Sie ist real und zeigt sich auch in solchen Momenten, in denen Fans einmal nichts von ihren Spielern wollen, sondern einfach nur da sind und grenzenlose Unterstützung signalisieren.

Gastautorin Astrid Jöhnck