Arbeiten für das Comeback

- Auf ein Gespräch mit Johannes Golla

Johannes Golla hat es sich auf der braunen Couch in der „Captains Lounge“ im Hotel „Hafen Flensburg“ gemütlich gemacht. Für den Kreisläufer der SG Flensburg-Handewitt kein unbekanntes Ambiente, denn er hatte hier schon mal übernachtet, als er noch Profi der MT Melsungen war. Bislang war die Vier-Sterne-Unterkunft mit Niederlagen verbunden, diesmal dreht sich im Gespräch vieles um das Comeback des 23-Jährigen, der sich bei der SG schnell vom Talent zur Stammkraft und zum deutschen Nationalspieler gemausert hat.

Hinter ihm liegt eine „schreckliche Zeit“, die längste Pause in seiner Karriere. Am 8. März hatte Johannes Golla für über acht Monate letztmals das Trikot der SG auf dem Spielfeld getragen. Direkt im Anschluss folgte ein DHB-Lehrgang, der in den Corona-Lockdown überging. Erst Anfang August trommelte SG Coach Maik Machulla seine Jungs wieder zum Mannschafts-Training zusammen. Nur wenige Tage später ein Moment, der völlig unspektakulär war, bei dem in 1000 Fällen 999 Mal nichts passiert. Johannes Golla geriet in der Duburghalle in Höhe der Mittellinie etwas aus dem Gleichgewicht und knickte mit dem rechten Fuß um. „Zuerst dachte ich, das wäre gar nicht schlimm“, erinnert sich der Handballer. „Unsere Physiotherapeutin Jana Kräber riet mir vorsichtshalber, nicht weiter mitzutrainieren und das Bein ruhig zu halten.“

Bittere Diagnose
Wenige Stunden später der Schock: Mittelfußbruch. Bis dahin hatte Johannes Golla nur Bänderrisse oder etwas am Sprunggelenk. Es ging um Tage, jetzt war er einige Monate weg vom Fenster. Allein bis zum OP-Termin dauerte es eine Woche, da Schwellung und Blutergüsse zunächst etwas abklingen mussten. Danach war der Kreisläufer nur in der Zuschauerrolle, wenn in der FLENS-ARENA der Ball flog. „Der Mannschaft nicht helfen zu können – das ist das Schlimmste, was einem Sportler passieren kann“, erzählt Johannes Golla. Stattdessen brauchte er selbst Unterstützung im Alltag. Nur ein Beispiel: Autofahren war nicht möglich. Selbst bei einem Automatik-Wagen braucht man zumindest den rechten Fuß – in diesem Fall den gebrochenen. Ein persönlicher Lockdown in einer Karriere, die bislang nur den Vorwärtsgang kannte.

Die Jugend am Rhein
Johannes Golla wurde im hessischen Eltville, rund 15 Kilometer westlich von Wiesbaden, geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er am Rhein. Über die JSG Eltville, den TuS Dotzheim und die SG Wallau führte der Weg in die Jugend-Bundesliga. Bei der HSG VfR/Eintracht Wiesbaden schulte Johannes Golla vom Rückraumakteur zum Kreisläufer um. Relativ rasch wurde die MT Melsungen auf das Talent aufmerksam. Im Sommer 2015 bestritt Johannes Golla seine erste Vorbereitung mit einem Bundesligisten. Es dauerte nicht mehr lange, dass der 1,95 Meter große Kreisläufer auf der Kandidatenliste der SG landete. Ab der Saison 2018/19 zählte er zum Kader des nördlichen Bundesligisten und wurde auf Anhieb deutscher Meister. Die erste Einladung zum DHB-Lehrgang traf ein, und bereits im Januar 2020 folgten die ersten Einsätze bei der Europameisterschaft.

Die Ambitionen im Nationalteam
Zuletzt war das Nationalteam weit weg, der Kontakt ist aber nicht erloschen. „Bundestrainer Alfred Gislason hatte sich gleich nach meiner Verletzung erkundigt, wie es mir geht und auch vor dem letzten Lehrgang angefragt, wie weit ich denn wäre“, berichtet Johannes Golla. „Es hatte noch nicht gereicht, ich muss erst einmal wieder richtig zurückkommen.“ Die Weltmeisterschaft im Januar hat er noch nicht abgehakt, hält das Turnier in Ägypten in einer „Blase“ für denkbar. „Vor einigen Jahren bei der Junioren-WM in Algerien waren wir ziemlich abgeschottet und hatten unseren eigenen Campus“, erzählt der 23-Jährige.

Der Weg zurück
Noch dreht sich bei Johannes Golla alles darum, möglichst schnell wieder beim hundertprozentigen Leistungsvermögen anzukommen. Den Draht zum Team hat er nie verloren. Er war schon mit ins Trainingslager nach Juelsminde und setzte sich auf eine Kiste, um die Torhüter mit Würfen zu „füttern“. Er begleitete seine Teamkameraden mit Gehhilfen und dickem Schuh nach Paris und Düsseldorf. Er absolvierte um acht Uhr morgens sein Reha-Programm, um dann das Mannschafts-Training in der Duburghalle zu verfolgen. Und die Spiele verliefen deutlich besser als befürchtet. „Zuerst bin ich ausgefallen, dann Jacob Heinl und schließlich noch Lasse Møller“, sagt Johannes Golla. „Ich bin beeindruckt, wie gut die Jungs das gestemmt haben.“

Das Comeback
Gegen den TVB Stuttgart war es so weit: Die Spieltage in der FLENS-ARENA meldeten sich für den Kreisläufer mit ihren üblichen Abläufen zurück. Er ist stets schon zwei Stunden vorher da. „Ich mag es nicht gestresst zu sein“, erklärt er. „Deshalb bin ich immer sehr pünktlich, um alles in Ruhe machen zu können.“ Dehnen und Stretching vor der Kabine stehen dann auf dem Programm. Ebenso eine Besprechung mit Co-Trainer Mark Bult wegen der Defensivarbeit und das eigentliche Warmup auf dem Spielfeld. Dann die Einlauf-Zeremonie und schließlich nach knapp fünf Minuten das Comeback. „Ich hatte damit gerechnet, dass ich spielen werde“, so Johannes Golla nach dem Schlusspfiff. „Es war aber nur so früh der Fall, weil das Tape von Simon Hald nachgebessert werden musste.“

Die SG und ihre Demokratie
Interessante Einblicke in das Seelenleben der SG gewährt derzeit die Amazon-Serie „Inside SG Flensburg-Handewitt“. Gibt es eine Hierarchie im Team? Von einer „Demokratie“ spricht Johannes Golla. „Auch abseits des Spielfeldes bringt sich jeder ein, jeder darf seine Meinung sagen und wird gehört“, verrät er. Obwohl er mit gerade 23 Jahren nach Nachwuchsmann Magnus Holpert der jüngste im Kader ist, fühlt er sich voll anerkannt. „Auch wir Jüngeren werden erstgenommen“, betont Johannes Golla. „Denn auch wir haben schon einige Jahre Erfahrungen im Leistungssport gesammelt und haben es immerhin zu einem Top-Team wie die SG geschafft.“

Ein Handball-Gen in der Familie
Ihm kann man neben einem Trainingseifer sicherlich auch das Handball-Gen als Tritthelfer für die Laufbahn zuschreiben. Vater Peter hatte es einst immerhin bis in die Zweitliga-Mannschaft von Eintracht Wiesbaden gebracht. Und auch die drei Jahre jüngere Schwester Paulina macht Furore und spielt in der zweiten Saison beim Frauen-Bundesligisten Buxtehuder SV. „Ich habe schon bei ihr zugeschaut“, erzählt Johannes Golla. „Paulina war auch schon an einem Samstag bei uns zu Besuch, übernachtete und war dann bei einem Spiel in der FLENS-ARENA.“ Derzeit ist aufgrund der Corona-Pandemie alles eingeschränkt. Immerhin ist der „persönliche“ Lockdown vorbei: Johannes Golla spielt wieder.