„Alles noch nicht realisiert“

- Das Interview der Woche: Lukas Jørgensen

Keine Frage: Lukas Jørgensen ist einer der Aufsteiger des internationalen Handballs der letzten Jahre. 2023 eilte der Kreisläufer als Debütant der dänischen Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft, 2024 schnappte er sich Olympia-Gold, und jetzt verteidigte er den WM-Titel. Die Redaktion sprach mit dem 25-Jährigen.

Eine schwierige Frage zuerst: Welches Gold ist das schönste? Die jetzige WM-Medaille, die von vor zwei Jahren oder das Olympia-Goldstück von Paris?
Lukas Jørgensen: Ganz klar die Medaille von Paris. Sie ist speziell, sogar ein Teil des Eiffelturms wurde eingearbeitet. Dieses Gold ist wohl auch von der Bedeutung her am höchsten einzustufen, denn Olympiasieger kann man nur alle vier Jahre werden.

Und wie gefällt dir der Weltpokal?
Lukas Jørgensen: Der ist beeindruckend. Jedes Mal, wenn ich ihn in der Hand hatte, waren da unheimlich viele Emotionen dabei. Und es kommen schon einige Male zusammen: auf dem Siegerpodest, für Fotos in der Arena, in der Kabine und schließlich auf dem Rathausbalkon von Kopenhagen. Das alles habe ich noch nicht richtig realisiert. Auch nicht die historische Bedeutung dieses Pokals: Dänemark hat nun vier Mal in Serie die Weltmeisterschaft gewonnen – und zwei Mal war ich dabei.

Ihr habt neun Mal gespielt und neun Mal recht deutlich gewonnen. Wie erklärst du dir diese Dominanz?
Lukas Jørgensen: Das war ein Wahnsinn: Jemand hat berechnet, dass wir im Durchschnitt mit mehr als zwölf Toren Vorsprung gewonnen haben. Wir hatten in jeder Phase eines Spiels eine große Qualität auf dem Spielfeld. Wir halfen uns gegenseitig sehr viel und blieben gegenüber den Gegnern immer demütig. Nach einem Spiel fokussierten wir uns auf das Training und dann wieder auf die nächste Aufgabe.

Die ersten Spiele durftet ihr Herning genießen. Wie ist es, vor etwa 15.000 dänischen Fans zu spielen?
Lukas Jørgensen: Die Stimmung in der Boxen von Herning ist einfach fantastisch. Ich hatte viel davon gehört, nun habe ich es selbst erlebt. 2019 war ich zwei Mal als Fan in der Boxen. Damals schaute ich viel auf Rasmus Lauge. Jetzt machte er große Augen, als ich ihm davon erzählte.

Es war sicherlich etwas merkwürdig, für die letzten Paarungen nach Oslo umziehen zu müssen?
Lukas Jørgensen: Nach so vielen Tagen in einem Hotel mit sehr ähnlichen Abläufen war es gar nicht so schlecht, in eine andere Umgebung zu kommen. Leider konnten wir aber nicht unsere vielen Fans mitnehmen. Im Viertel- und im Halbfinale merkte man schon, dass der Gastgeber Norwegen fehlte. Im Finale waren aber sehr viele dänische und kroatische Zuschauer vor Ort, sodass wir eine tolle Atmosphäre hatten.

Freust du dich schon, dass das Finale der kommenden Europameisterschaft in Herning ausgetragen werden soll? 2026 gibt es eine komplette Heim-EM.
Lukas Jørgensen: Es ist für jeden Spieler ein Traum, eine Welt- oder eine Europameisterschaft zu Hause spielen zu dürfen. Wir wollen in einem Jahr die Chance nutzen, um dann auch die Finalrunden mit der Intensität und der Atmosphäre eines Heimvorteils zu erleben.

Mathias Gidsel ist der Most Valueable Player, und auch Simon Pytlick und Emil Nielsen wurden für das All-Stars-Team der Weltmeisterschaft ausgewählt. Viele fanden, dass du zusammen mit Magnus Saugstrup den besten Mittelblock des Turniers gebildet hast. Wie siehst du eure Zusammenarbeit?
Lukas Jørgensen: Es hat überragend funktioniert. Wir beide sind trotz unseres Körpers zwei Kreisläufer, die schnell auf den Beinen sind. Was das Verhalten in Zweikämpfen und das Gefühl für die richtige Tiefe angeht, haben wir sehr gut zusammengearbeitet. Auch die Kooperation mit den Halbverteidigern klappte sehr gut.

Wie ist es, wenn nun Magnus Saugstrup, Mathias Gidsel oder ein anderer Däne in der DAIKIN HBL oder in der EHF European League dein Gegner ist? Nach so vielen gemeinsamen Wochen muss es doch etwas komisch sein.
Lukas Jørgensen: Diese Situation ist ja kein Novum. Es ist eigentlich immer so, dass man sich am Spieltag kurz vor dem Beginn des Warmups an der Mittellinie trifft und etwas miteinander redet. Da wird dann gerne gescherzt. Gerade die Party nach dem Titel, bei der wir uns zuletzt gesehen hatten, ist immer für einen Kommentar gut. Oder jemand meint scherzhaft: Wenn du mich durchlässt, dann lasse ich dich auch durch – und am Ende sieht unsere Toranzahl besser aus. Wenn das Spiel läuft, sind wir aber heiß und fokussiert. Dann zählt nur der Sieg.

Wie schwer fällt dir das Umschalten von Nationalteam auf Verein?
Lukas Jørgensen: Es bringt immer positive Emotionen, alle bei der SG wiederzusehen und nach so einer langen Zeit im Hotel wieder den Alltag zurückzuerhalten. Allerdings fiel es in diesem Jahr etwas schwerer, wieder in den Rhythmus zu finden. Mit den Olympischen Spielen gab es im Sommer ein zusätzliches Turnier, und bei der Weltmeisterschaft habe ich wirklich sehr viel gespielt, was zusätzliche Energie gekostet hat.

Das erste Mal hast du mit Aleš Pajović einen Trainer, der keine Däne ist. Wie sind die ersten Eindrücke?
Lukas Jørgensen: (lächelt) Ich war etwas gespannt, ob mein Deutsch reichen würde, um einen Trainer zu verstehen, der kein Dänisch spricht. Meine Bedenken waren aber völlig unbegründet. Das erste Treffen war positiv, er ist freundlich und scheint eine klare Kommunikation zu pflegen.

Was habt ihr euch für den Rest der Saison vorgenommen?
Lukas Jørgensen: Über Ziele brauchen wir eigentlich nicht zu sprechen. Wir sind bei einem Top-Verein, und da versteht es sich von selbst, dass wir in den beiden verbliebenen Wettbewerben alles geben werden, um möglichst alles zu gewinnen. In der DAIKIN HBL ist ein zweiter Platz nötig, um die nächste EHF Champions League zu erreichen. Einige andere Mannschaften liegen zwar besser, aber die Saison ist ja noch lang. Und in der EHF European League wollen wir zur Endrunde in der Barclays-Arena in Hamburg.

Eine letzte Frage: Was macht die SG aus?
Lukas Jørgensen: Die Atmosphäre der GP JOULE Arena beeindruckt mich immer sehr. Da sind so viele Emotionen und Zuschauer, dass man spürt, welche Bedeutung der Handball in Flensburg hat. Die Stimmung und die Unterstützung sind wirklich großartig. Unsere Mannschaft wird von einem großen Zusammenhalt geprägt. Man kommt immer gerne zum Training, da man viele Freunde und gute Kollegen trifft.