12 Jahre mit großer Bedeutung

- Das Interview der Woche: Jim Gottfridsson

Mai 2025, Duburghalle Flensburg: Das Training der SG Flensburg-Handewitt ist gerade beendet. Jim Gottfridsson sitzt auf einer Bank und blickt auf die Wandbeschriftung mit sportlichen Tugenden wie „Passion“ und „Respekt“. Vor seinen Augen toben seine beiden Kinder, die an diesem schulfreien Tag ausnahmsweise mal zum Training mitkommen durften. Dann beginnt das Interview.

Jim, seit fast zwölf Jahren kommst du zum Training in die Duburghalle. Hast du schon realisiert, dass das bald nicht mehr der Fall sein wird?
Jim Gottfridsson: Seit 2013 war das mein Arbeitsplatz, ich kann gar nicht sagen, wie oft ich hier war. Die Duburghalle ist vielleicht nicht die schönste und beste Trainingsstätte in Europa, aber sie hat ihren Charme – nicht nur wegen der Wörter, die an der Wand stehen. Ich bin sehr stolz, solange hier gewesen zu sein. Es ist gar nicht selbstverständlich, zwölf Jahre in der Bundesliga zu spielen – und dann nur für einen einzigen Verein. Diese zwölf Jahre werden immer eine große Bedeutung für mich haben – mit ihren Höhen und Tiefen. Freudige Gesichter gehörten genauso dazu wie manche Tränen der Enttäuschung.

Kannst du dich noch an dein erstes Training mit der SG im Sommer 2013 erinnern?
Jim Gottfridsson: Es war eine Krafteinheit. Ich hatte die zwei Monate zuvor einen persönlichen Trainer, um mit sehr guter Fitness nach Flensburg zu kommen. Ljubomir Vranjes war der Trainer und kontrollierte damals selbst die Ergebnisse. Danach bildeten wir einen Kreis und Ljubo richtete ein paar Worte an die gesamte Mannschaft. Er lobte meine Leistung, und ich bemerkte einige respektvolle Blicke der Teamkollegen, die alle Weltklasse-Spieler waren. Ich war stolz, denn ich war nun ein Teil dieser starken Mannschaft.

Was waren damals die Faktoren gewesen, zur SG zu wechseln?
Jim Gottfridsson: Mein Wechsel vollzog sich über drei Jahre. Ich war 17 oder 18 Jahre alt und galt als das schwedische Super-Talent, als ich plötzlich eine SMS auf meinem Mobiltelefon hatte. Sie stammte von Ljubo, der sich mit mir treffen wollte. Ich wollte es erst gar nicht wahrhaben: Der Team-Manager dieses Top-Vereins wollte mich wirklich sehen? Wir trafen uns in Malmö. Er hatte ein Trikot von Lasse Svan und einen Konter mit und erzählte mir von den Zielen der SG. Noch wäre der Schritt für mich zu groß, meinte Ljubo, aber in ein oder zwei Jahren könnte es klappen. Wir blieben in Kontakt. Er saß häufiger auf der Tribüne und schaute sich Spiele von mir an, während andere Vereine, die anfragten, nur Videos von mir hatten. Das hat mich sehr beeindruckt und mir ein gutes Gefühl gegeben. Als die SG im Sommer 2011 in Kristianstad im Trainingslager war, durfte ich ein paar Tage mittrainieren. Eigentlich sollte ich schon 2012 zur SG kommen, doch mein Vertrag in Ystad lief noch bis 2013. Dafür wurde Maik Machulla verpflichtet. Er darf mir dankbar sein, denn ohne mich wäre er nie zur SG gekommen.

Gleich in der ersten Saison bei der SG hast du die EHF Champions League gewonnen. Das war fast etwas irreal, oder?
Jim Gottfridsson: Das war fast zu schnell. Viele meinen heute, ich war noch so jung und habe deshalb nicht viel gespielt. Ljubo hatte damals aber viel gewechselt, und selbst im Finale stand ich für gut 30 Minuten auf dem Spielfeld. Oft spielte ich mit Thomas Mogensen gemeinsam, da Lars Kaufmann in jener Serie fast durchgängig verletzt war. Der Erfolg war so überwältigend, dass ich in Köln sonst gar nicht so viel mitbekommen habe. Als wir 2023 endlich mal wieder in Köln waren, habe ich erst gemerkt, wie groß die Arena eigentlich ist. Das hatte ich 2014 gar nicht realisiert.

 

Was waren für dich die weiteren Höhepunkte im SG Trikot?
Jim Gottfridsson: Die erste deutsche Meisterschaft muss ich natürlich nennen. Die kam so plötzlich, dass sie unvergesslich bleibt. Wir waren zu Weihnachten mit zehn Minuspunkten eigentlich schon abgeschrieben. Es war aber Maik Machulla zu verdanken, dass wir unserer Spielweise weiter vertrauten. Wir punkteten fast immer und schoben uns immer weiter nach vorne. Dann spielten die Rhein-Neckar Löwen gegen Melsungen. Alles rechnete mit einem Sieg der Löwen. Ich schaute erst sieben Minuten vor dem Ende auf den Live-Ticker. Es war sehr knapp. Ich schwitzte vor Aufregung, und die Löwen verloren tatsächlich. Ich musste erst einmal in den Garten und Luft schnappen.

Ich verstand in diesem Moment: Jetzt können wir wirklich Meister werden! Wir sollten nur noch in Lübbecke, die fast abgestiegen waren, und gegen Göppingen, die viele verletzte Spieler hatten, spielen.
Aber das sollte beides kein Klacks werden?
Jim Gottfridsson: Wir spürten schon am nächsten Tag beim Training, dass alles anders war. Die Anspannung war riesig, die Stimmung ganz anders als vorher. Gegen Göppingen war die Halle dann so heiß wie noch nie. Gefühlt um die 35 bis 40 Grad. Nach dem Abpfiff war die Erleichterung riesig, die deutsche Meisterschaft gewonnen zu haben. Richtig freuen konnten wir uns nicht. Besser feiern konnten wir ein Jahr später, als wir mit nur vier Minuspunkten deutscher Meister geworden sind. Das muss man sich mal vorstellen: Wir waren in der so starken Bundesliga wirklich ein Jahr ungeschlagen geblieben.

Gab es auch einen Tiefpunkt? Oder gar mehrere?
Jim Gottfridsson: In den ersten Jahren bei der SG brach ich mir drei Mal den Mittelfuß. Das war eine ganz schwere Zeit, da ich mir die Frage stellen musste, ob mein Körper für die enorme Belastung überhaupt geeignet ist. Zum Glück kehrte ich gestärkt zurück. Auch 2023 war nicht schön. Ich hatte mir die Mittelhand gebrochen und hatte dann eine Verletzung am Knie. Ich fehlte so lange wie andere Spieler bei einem Kreuzbandriss. Und dann ist da noch das Heimspiel gegen die Füchse Berlin vor vier Jahren. In der Schlussphase misslang mir ein ganz normaler Pass auf Lasse Svan. Da hatte ich das Gefühl, die Meisterschaft weggeworfen zu haben.

Die ungewöhnlichste Situation war sicherlich 2020 während der Corona-Pandemie. Ihr durftet damals mehrere Monate nicht spielen. Ist diese Phase überhaupt noch ein Thema?
Jim Gottfridsson: Man hat das Ganze schon fast vergessen. Aber wenn man darauf angesprochen wird, sind die Erinnerungen sofort wieder da. Wir hatten gerade in Berlin gewonnen und standen noch alle etwas gemütlich zusammen. Ein paar Tage später sollte eine Veranstaltung stattfinden. Dann meinte Dierk Schmäschke, die muss wohl abgesagt werden. Da freute man sich über einen freien Abend, aber kurz darauf waren alle Spiele und jedes Training abgesagt. Plötzlich stellte man sich die Frage, ob und wie es überhaupt weitergehen kann. Es ging auch um einen Gehaltsverzicht, was mir nicht schwerfiel. Die SG bedeutet mir so viel, dass ich das Boot in die richtige Richtung bringen wollte. Zuerst spielten wir ohne Zuschauer, dann vor ein paar hundert – es dauerte, bis wieder alles normal war.

Ab Juli hast du einen Drei-Jahres-Vertrag bei Pick Szeged unterschrieben. Was reizt dich am ungarischen Vereinshandball?
Jim Gottfridsson: Ich habe das Gefühl, dass mein Körper die Belastung in der Bundesliga nicht mehr so ohne Weiteres mitmacht. Diese Liga ist wirklich brutal. Außerdem fand ich, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sportlich noch einmal etwas zu probieren. Im August waren wir für ein paar Tage in Szeged. Der Verein hat wirklich ein schönes Trainingsgelände, das sehr ruhig liegt. Und sportlich ist die EHF Champions League das wichtigste Ziel.

Wo siehst du dich in fünf Jahren?
Jim Gottfridsson: Ich will nichts in Stein meißeln, aber ich denke, ich werde wieder in Schweden sein, einen Trainer-Kurs absolviert und gerade meinen ersten Vertrag als Trainer unterschrieben haben.

Zwölf Jahre sind eine lange Zeit. Was wirst du am meisten von der SG vermissen?
Jim Gottfridsson: Das sind die Menschen, denn es sind viele Freundschaften entstanden. Auch die SG Heimspiele und das Essen vom „Macedonia“ werden mir fehlen.

Wird man dich in Flensburg wieder sehen?
Jim Gottfridsson: Ich sage nicht „Tschüss“, sondern „Auf Wiedersehen“. Flensburg wird mir immer etwas bedeuten. Meine beiden Kinder sind Flensburger.